Mittwoch, 14. September 2011

Mechanische Tastatur zum Direktbeschreiben.

Chronistierung ./. Anmerkung des Chronisten.
Der Chronist. (2)


Ich sehe mich als professionellen Vertreter meines Berufsstandes und habe feste Prinzipien. Durch die zunehmende Verlagerung von Informationstransfers in und durch das Internet wird es ebenso zunehmend schwerer, diesen konsequent zu folgen. Was, bitte, hat die Bemerkung „Werte Besucher!“ in dem neutral zu haltenden Bericht eines Chronisten zu suchen? Dem Chronisten hat es egal zu sein, ob überhaupt irgendein Besucher/Leser oder Surfer seine Aufzeichnungen liest, und schon recht hat es ihm egal zu sein, ob dieser die Lektüre als interessant empfindet, oder, noch schlimmer: SPANNEND. Wer spannende Geschichten will, soll gefälligst Krimis lesen. Hier geht es um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, um die objektive Konservierung des Falles Thoni, den in dieser Skurrilität nur das Zeitalter des World Wide Web hervorbringen kann.

Das Schlimme ist, und deshalb bittet der Chronist um Nachsicht, dass er sich noch nicht wirklich auf das neue Medium WWW eingelassen hat, denn es birgt so manche Tücke, die Chronisten früherer Zeiten galant umschiffen konnten. Man sammelte Informationen, sortierte, strukturierte, lochte und heftete sie säuberlich in Aktenordnern ab. Oder brachte sie als Buch heraus. Mit Index und Quellenangabe. Oder meinetwegen als Tondokument, das aber ebenso wie die Akten GREIFBAR war. Man hatte zwar zuweilen einen Wust von Material, aber das Chaos lichtete sich irgendwann, wurde überschaubar. Und es kam der herrliche Moment, in dem man wusste: Man hat den Stoff in eine Struktur gepasst, geordnet, BEZWUNGEN. Was für ein erhebendes Gefühl: ein Protokollant der Wahrheit zu sein. Überlieferer wissenswerten Wissens der Gegenwart für künftige Generationen!

Es mag vielleicht überraschen, aber auch Chronisten erlauben sich durchaus Äußerungen privater Natur. Zum Beispiel: Himmelherrgott, was ist das denn für ein Scheiß!
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass auch ich solcherlei unprofessionelle Äußerungen zuweilen tue, ABER, und das macht es mir so schwer, mit diesen neuen Medien zu arbeiten: Früher saß ich an meinem Schreibtisch, umgeben von Bücherbergen, kopierten Papierhaufen, bunten Post-it-Zetteln, leeren und halbvollen Heftern und Ordnern, und schrieb auf meiner guten alten Olympia (für Jüngere = Schreibmaschine, für noch Jüngere = Mechanische Tastatur ohne Monitor- und Druckeranschluss zum Direktbeschreiben von Papier) wundervolle Verzeichnisse und Zusammenfassungen, die ich dem Originalmaterial beiheftete, ich lieferte sozusagen den Schlüssel zum Aufschließen einer, je nach Umfang, kleineren oder größeren Wissenstruhe.

Und was ist jetzt? Ich bin EINGELOGGT, fange an zu schreiben, aber dann kommentiert mir einer dazwischen, oder es kommt eine neue Info rein, natürlich auch per PC, in abgehaktem eMail-Deutsch: DerVerleger = gerade bei Buchhändler. Scheint Probleme zu geben. Tagebucheintrag folgt. Grüße. Quelle9.

So! Und da soll ich nicht fluchen? Was interessiert es bitte schön den Chronisten, was scheint und was folgt? Er will wissen, was IST. Und das ordentlich formuliert und, bitteschön, belegbar dokumentiert. Seit die Welt online ist, wird alles nur noch durcheinandergeworfen: Persönliches mit Öffentlichem vermischt, Informationen mit Meinungen, ein Könnte mit einem Wollte und Sollte und Würde und Werde. Da blickt doch keine Sau mehr durch!
Es ist ja nicht so, dass Informationen über innere Einsichten wertlos wären, ganz im Gegenteil! Und natürlich bin ich meiner Quelle dankbar, dass sie zum Beispiel eine - neutral formuliert - günstige Gelegenheit gefunden hat, mir die für die Sache durchaus relevanten Tagebucheinträge des VERLEGERS zugänglich zu machen, aber ich lege Wert darauf, dass die übermittelten Daten echt sind, und vor allem: Bitteschön so chronologisch wie möglich, denn das Netz zwingt mich zu Schnelligkeit, und das ist es, was den Chronisten von heute das Leben so schwer macht:
Ich schreibe die Dinge nieder, ohne sie vorher groß zu durchdenken, ich MUSS, denn ich werde von Informationen überrollt. Und ich muss es leider akzeptieren, dass ich nicht mehr warten kann, bis alles vollständig ist, weil einfach niemand mehr zu sagen wüsste, wann das der Fall sein könnte. Und deshalb wird es auch im Fall Thoni unumgänglich sein, Chronologien zu durchbrechen, Informationen erst nach und nach zu vervollständigen, und, hoffentlich nicht allzuoft, zu berichtigen. Mir blutet das Herz, wenn ich bei der späteren Textkontrolle feststellen muss, dass ich Fehler gemacht habe, gar nachlässig war! Eine Zeitungsmeldung von gestern für heute zu dokumentieren, das wäre mir zu Olympia-Zeiten nicht passiert! Und auch die Struktur und Übersichtlichkeit lässt in der Online-Welt zu wünschen übrig. Die Trennung von Emotion und Sache sowieso.

Im Netz tendiert man dazu, schneller zu schreiben als man denkt. Früher habe ich geflucht, aber dabei nicht geschrieben. Heute flutscht jede Regung ruckzuck in die Tastatur. Ist man ja gewohnt, selbst Räuspern und Rülpsen öffentlich zu machen. Und dann steht es da! Der unverständige Normal-Leser wird vielleicht sagen (vor allem, wenn er etwas älter ist): Na, mach mal halblang! Wofür gibt`s die Löschen-Taste? Denk mal daran, wie schwer das früher mit Tipp-Ex und Korrekturband war!
Und der Jüngere wird sagen: Na und? Ist doch alles echt authentisch, Alter! Kommt voll cool rüber.
Mag sein. Aber es entspricht nun einmal nicht dem Selbstverständnis eines seriösen Chronisten. Allerdings: Das Löschen von existierenden Inhalten auch nicht. Es steht mir nicht zu, Realitäten zu manipulieren. Und so kommt es, dass ich seit der Nutzung der NEUEN MEDIEN zunehmend mit mir selbst im Clinch liege.
Da ich den Grundsatz: Dokumentieren, nicht manipulieren!, selbstredend nicht aufgeben kann, andererseits diverse emotionale Äußerungen wohl auch in Zukunft nicht zu vermeiden sein werden, habe ich beschlossen, meine Aufzeichnungen ab sofort in zwei Rubriken zu teilen:

1. Chronistierung ./. Die Sache Thoni.
2. Unsachliche Anmerkung des Chronisten.

Zu 1)
Hierunter fallen die Wiedergabe aller erhaltenen Informationen, ggfs. neutrale Erläuterungen und Zusammenfassungen des Sachverhalts. Der Begriff ist der Versuch des Chronisten, diese anspruchsvolle Tätigkeit unzweideutig zu klassifizieren.

Zu 2)
Wenn`s mir wieder passiert, dass meine Finger schneller sind als das Gehirn, werde ich mir erlauben, diese Überschrift zu verwenden, um für die Nachwelt nachvollziehbar kundzutun, dass dies eine menschliche Schwäche respektive die persönliche Auffassung des Chronisten ist, die mit dem Sachverhalt nichts zu tun hat. Da würde dann beispielsweise stehen, dass ich schon auch ein bisschen stolz auf die Formulierung unter 1. bin. Mit diesem von mir entwickelten Begriff werden sich meine Dokumentationen künftig von allen anderen, insbesondere von denen dieser Möchtegern-Feierabend-Chronisten, schon auf den ersten und damit entscheidenden Blick unterscheiden.

Keine Kommentare: