Montag, 2. April 2012

Warum der Thoni-Verlag keine Bücher verlegt.

Noch (k)eine Erklärung?!

Dieses Projekt wurde geplant, wie Geschichten geplant werden müssen, und doch ganz anders erzählt. Der Beginn im September 2011 entsprang einer persönlichen Erfahrung und war willkürlich gewählt, das Ende am ersten April 2012 natürlich nicht. Das Dilemma, eine „richtige“ Geschichte im Netz zu erzählen, offenbarte sich gleich zu Beginn: Wie soll man bitte einen Spannungsbogen aufbauen, wenn die Leser das Ende in diesen vermaledeiten Blogs immer zuerst serviert bekommen? Wie sollten Zusammenhänge und sorgsam gesetzte Hints verstanden werden, wenn die Wenigsten die Geduld aufbringen würden, vorn anzufangen und hinten aufzuhören, wie man es bei einem Buch nun mal tut, zumal die Inhalte ja so hübsch zusammengetaggt und themenverlabelt sind? Vielleicht lag hier aber auch der größte Denkfehler in diesem Projekt: Die Annahme, dass überhaupt Leser kommen würden, und nicht User, die sich von Häppchen ernähren auf ihren ziellosen Wegen durchs Netz?

Die Buchbranche befindet sich in einem grundlegenden Wandel. Die Stimmungen reichen von Euphorie und der Ignoranz eines „Jetzt erst recht und weiter so!“ bis hin zu schierer Angst und der Befürchtung, durch die unausweichlichen Veränderungen hin zum „e“ mitsamt allen Werten, die so lange als wichtig und richtig gehegt, gepflegt und gelebt wurden, vom Zeitgeist weggespült zu werden. Es betrifft alle: Verlage und Lektoren, Buchhandlungen, Autoren – und natürlich vor allem auch die Leser. Wo der Weg hinführen wird, weiß derzeit niemand. Es gibt Prognosen, keine Antworten.

Nur eines ist gewiss: Alle diese Dinge betreffen Menschen. Die einen werden profitieren, andere werden verlieren, viele werden scheitern, persönlich oder ökonomisch die Konsequenzen ziehen. Es wird Freude geben, Wut, Trotz und Trauer, Verzweiflung, Resignation – und Hoffnung. Fantasie wird gefragt sein, Kreativität, Neugier, die Lust auf Neues. Und daraus wird wieder Freude werden über das, was entsteht. Vielleicht auch stille Genugtuung der „Gestrigen“ über das Alte, das mitgenommen werden kann, um von der Moderne schon bald gepriesen zu werden als gut und endlich richtig.

Es ist eine aufregende Zeit, die zu dokumentieren sich lohnt. Das Projekt „Thoni. Der Verlag ohne Bücher“ wollte die so zahlreich zitierten Artikel, Analysen und Kommentare nicht erklären, nicht rechtfertigen, nicht gutheißen, nicht schlechtreden. Die Idee war, diesem Umbruch ein Gesicht zu geben, mitgeteilte Sachverhalte menschlich zu machen, sie mit verschiedenen Stimmen, aus unterschiedlichen Perspektiven, zu erzählen. Vielleicht, so die Hoffnung, hilft ein Verlag ohne Bücher zu verstehen, warum gute Bücher und gute Geschichten im Zeitalter des WWW nicht überflüssig geworden sind.

Das Projekt wurde am 1. April 2012 beendet, die Geschichte nicht. Um es frei mit Hermann Hesse zu formulieren: Jedem Ende wohnt der Zauber eines Anfangs inne. Wenn Sie also möchten, erzählen Sie die Geschichte weiter, verlinken, posten, zitieren Sie – aber tun Sie es mit Stil und der Überzeugung, dass es selbst einem Verdurstenden guttut zu wissen, aus welcher Quelle er schöpft:


Natürlich gibt es das Projekt auch auf Facebook. Derry, Berti & Co freuen sich über alle, die den verrückten Thoni-Verlag mögen, oder neudeutsch: „liken“:


gez.
E.

PS: Das Rote Buch steht natürlich nur stellvertretend für viele andere Bücher, bei denen sich Inhalt und Form aufs beste verbinden. Aber es ist ein so überaus gelungenes Beispiel, dass es an dieser Stelle gerne weiterempfohlen wird:

http://www.amazon.de/Die-souver%C3%A4ne-Leserin-Alan-Bennett/dp/3803112540/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1333378554&sr=8-1

Sonntag, 1. April 2012

Wie angekündigt ...

... ist das Thoni-Projekt zeitgleich mit dem ersten April in wenigen Minuten zu Ende. Ein Zufall ist das natürlich nicht. Und gefeiert wird auch noch. Später. Jetzt müssen wir erst mal ein bisschen durchschnaufen.

Wir freuen uns über Ihren und Euren Besuch in unseren Räumlichkeiten:

www.facebook.com/Thoni.Verlag

Bis vielleicht bald?
das Thoni-Team.

April, April!

Frankfurt, 1.4.2012
Eine Erklärung


1.
q1 hatte kein monetäres Interesse. Was er wollte, war Macht. Er versucht es jetzt woanders.

2.
q7 ist tatsächlich beim Lesen der letzten Mail vom Chronisten tot umgefallen. Er war ein bisschen einfältig, aber alles in allem doch ein sympathischer Kerl. Zwar hatte er nicht immer den vollen Durchblick, aber dafür mehrfach den richtigen Riecher.

3.
Der Chronist ist mit Ablauf des Monats März in Pension gegangen. Er hoffte, mit dem Fall Thoni sein Lebenswerk zu krönen; notfalls hätte er sogar um einige Monate verlängert. Auch für anschließende Vortragsreisen wäre er zu gewinnen gewesen. Das ist ja nun obsolet.

4.
Ad hat sich über den Rausschmiss so geärgert, dass er nicht schlafen konnte. Beim Frustsurfen hat er in den frühen Morgenstunden eine interessante Website entdeckt. Eine total geniale Sache! Aber der Typ, der das Ding betreibt, hat keinen Dunst von Marketing! Deshalb hat er gleich mal sein Konzept hingeschickt.

5.
Die Autorin heißt tatsächlich mit Zweitnamen Eva und hat noch mehr Pseudonyme als bislang angenommen. Sie wird in Bälde einen weiteren lukrativen Verlagsvertrag unterschreiben und sich in einigen Wochen wieder über banale Titelvorschläge und unpassende Cover ärgern. Aus Frust wird sie einen Gedichtband herausbringen. Oder ein Kochbuch. Natürlich unter Pseudonym.

6.
Henning Hundekötter heißt nicht Henning Hundekötter. Aber er wird mit seinem epochalen Werk auch dieses Jahr zur Frankfurter Buchmesse reisen, um endlich als Jahrhundertautor entdeckt zu werden – oder zumindest auf interessierte Mitarbeiter irgendwelcher Verlage zu stoßen. Das postalische Versenden seines Manuskriptes hat er nach der Pleite mit dem Thoni-Verlag eingestellt; eMail geht schneller und schont den Geldbeutel. Teil eins bis drei hat er schon eingescannt. Er spielt mit dem Gedanken, sein Werk alternativ als eBook zu publizieren. Tante Erna sagt, dass das total einfach ist. Sie hat nämlich unlängst einen Roman über ihre turbulente Kindheit herausgebracht. Und danach ist sie mit einem Lesegerät und der Geschichte drauf zu Mutti in die Seniorenresidenz gefahren. Jetzt liest Mutti nicht mehr Hennings, sondern Ernas Buch, weil man die Schrift so schön groß machen kann. Das kratzt gehörig am Selbstwertgefühl.

7.
Lisa sucht weiterhin nach dem perfekten Schmöker. Das Schreiben von Rezensionen hat sie aufgegeben. Bringt ja doch nichts außer dämliche Kommentare von dämlichen Leuten, die keine Ahnung von romantischer Lektüre haben.

8.
Der Thoni-Verlag wurde immer noch nicht beim Gewerbeamt angemeldet. Was dahintersteckt, wird Reporter Rudi akribisch recherchieren. Wenn sein Chef und der Kaninchenzuchtverein nicht wieder dazwischenkommen.

9.
Der VERLEGER existiert nicht. Aber Derry treibt sich trotz Dementi gern im Netz und auf Facebook herum. Er schreibt weiterhin Tagebuch und freut sich riesig auf die Lesung in Offenbach. Corpy auch.

10.
Buchhändler Bertram Buchmann wünscht sich von Herzen, dass weiterhin Geschichten erzählt werden, die es lohnen, dafür Rote Bücher zu machen. Und dass es genügend Leute gibt, die sie kaufen und lesen. Damit gute Geschichten und gute Bücher sich künftig vielleicht wieder lohnen. Seinen Laden hat er gestern für immer zugemacht.

Das Projekt Thoni – der Verlag ohne Bücher ist damit beendet.

Die Motive für dieses Projekt bleiben gleichwohl nebulös. Antwortversuche werden womöglich auf einer Party zum Projektabschluss gegeben. Richten Sie sich auf eine Festivität größeren Ausmaßes ein, die großspurig online angekündigt, aber offline niemals stattfinden wird. Wo? In den Räumlichkeiten des Thoni-Verlags. Wann? Wenn die rechte Zeit dafür ist. Dieser Satz wurde von wem anders geschrieben, kürzlich gelesen und dreist geklaut. Er passte einfach zu gut.
Die Einladung zur Party ergeht gesondert.

gez.
das Thoni-Team.

PS: Das ist kein Aprilscherz.

vorbei.

dieses projekt endet mit dem ablauf dieses tages.

Danke für die Aufmerksamkeit.

Fazit:

Erinnerungen sind Gedanken und Gefühle an gelebtes Leben, bewertet und verwoben, in Bezug gesetzt zur Gegenwart. Das World Wide Web erinnert nicht, weil es nicht vergisst. Das Netz ist neutral im reinsten Sinne. Es sucht, findet, rezitiert ein Meer aus Momenten. Stellt sie gleichgewichtig nebeneinander, zeigt sie mit allen Details im Hier und Jetzt. Das Netz wertet nicht, wägt nicht. Es hat nur eine Schale, in die es unterschiedslos alles legt. Das Netz lügt nicht und betrügt nicht. Das tun die, die es benutzen. Das Netz kennt keine Gefühle, keine Entschuldigung. Es weiß nicht, was Gnade ist, es kennt keine Freundschaft, keine Liebe, keine Bewährung. Es kann verlinken, aber nicht verzeihen.
Das Netz ist absolut objektiv. Ein Tempel aus Transparenz mit einem Altar aus immerwährender Präsenz. Nie versiegende Informationsquellen löschen scheinbar allen Durst. Weil das Netz Tränen nicht sieht, kann man darin auch Salz nicht schmecken. Der Durst wird größer, aber der User weiß nicht, warum. Noch mehr freie Räume und noch mehr Quellen werden verlangt. Aber ganz gleich, wie riesig die Räume gebaut, wie tief die Brunnen gebohrt, und wie zahlreich die Quellen gefasst werden mögen: Die neue Welt wird immer nur Bruchstücke der alten bieten, Fragmente von dem, was ihre gehetzten Bewohner als die Wahrheit wähnen. Weil sich die Quellen aus dem Off speisen und gewogen werden müssen auf der Waagschale des realen Lebens, in dem es die absolute Wahrheit nicht gibt.



Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Das Team vom Thoni-Projekt.
Und Anne, die Autorin.




Noch Fragen?

Rudi wird sie vorbereiten.

Die letzten Folien.

Samstag, 31. März 2012.
Bei Willi vor der Ecke. Kneipengespräche. (10)


Ad (leicht angegrätzt): Gibt es einen Grund, warum Sie den Buchhändler mit seinem Nachnamen ansprechen und uns anderen nicht?

Anne (lächelt): Ihrer Stimmlage nach vermuten Sie einen?

Rudi (lapidar): Vermutlich der gleiche, warum sie mich ansonsten duzt und mit Ratlos tituliert.

Ad: Und der wäre?

Rudi: Sie hält mich für einen Dummkritzler.

Anne: Iwo. Du kritzelst ganz gescheit, gemessen an deinen Möglichkeiten.

Rudi (erbost): Das ist ja nicht zu fassen! Trauen Sie mir professionelles Arbeiten etwa nicht zu?

Anne (lächelt): Ihre Persiflagen auf Möchtegernschreiberlinge, die ihre Manuskripte sogar an Verlage schicken, die gar keine Bücher verlegen, habe ich mit ausgesuchtem Vergnügen gelesen.

Rudi: Im Grunde Ihres Herzens finden Sie Leute wie mich überflüssig.

Anne: Ich bin langjährige Abonnentin Ihrer Zeitung.

Rudi: Und warum behandeln Sie mich dann so respektlos?

Anne (schaut die anderen an): Tue ich das?

Ad: Also, ich finde auch, Sie sind überempfindlich, Ratlos.

Rudi: Ich wüsste nicht, was Sie meine Befindlichkeit angeht!

Ad: Siehste. Das meinte ich.

Rudi: Ich bin ein neutraler, unabhängiger und vorurteilsloser Journalist! Ich …

Alle lachen.

Ad: Um aufs Thema zurückzukommen. Ich vermute mal, dass sie dem Buchhändler bloß schöntun will. (lacht) Vermutlich hat sie einen Roman geschrieben, und der Schmöker muss ja unter die Leute.

Berti setzt an, etwas zu sagen, aber Anne winkt ab: In der Tat. Es hat etwas mit Respekt zu tun.

Berti: Oder dass Ihr über eine Welt redet, in die ich nicht mehr gehöre.

Anne: Ich würde mir wirklich wünschen, dass es nicht so wäre.

Ad (hämisch): Wie salbungsvoll! Sind es nicht die Bewohner eben dieser edlen Welt, die auf mich und meinesgleichen verächtlich herabschauen? Die so tun, als wäre Werbung per se was Schlechtes? Dass ich geackert hab wie ein Blöder, damit die Sache mit dem Thoni-Verlag irgendwie flunzt, ignorieren die doch völlig! Zum Dank werde ich rausgeschmissen. Und Ad Web ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde!

Derry: Hilft aber ungemein, dich zuzuordnen und ist auch von flüchtigen Lesern leicht zu merken.

Ad: Das hast jetzt nicht du gesagt.

Anne: Ich kann ja nicht alles sagen.

Ad (sieht Anne an): Ich bin doch bloß ein Spielball für Sie!

Anne: So wie der Thoni-Verlag ein Spielball für Sie ist.

Derry: War.

Ad: Nein! Ich habe an diese Idee geglaubt! Ich glaube immer noch daran! Das Ding hat Potenzial! Und was tut der Depp? (zeigt auf Derry) Verschenkt den Laden!

Berti: Tatsächlich?

Derry (nickt).

Anne: Ad, sei ehrlich. Du glaubst bloß an eines: Groß rauszukommen! Endlich mal einen Coup zu landen, der dich für die Nachwelt konserviert. Oder dir zumindest für eine gewisse Dauer ein angenehmes Leben sichert.

Rudi: Wären Sie vielleicht so gnädig, uns bei Gelegenheit zu verraten, was hier gespielt wird? Woher Sie die Chuzpe nehmen …

Anne (sieht Derry an): Powerpointpräsentationen waren noch nie Corpys Stärke. Und Kostüme zieht sie nur an, wenn sie sich unsicher fühlt. Ich würde sagen: Es besteht durchaus Hoffnung.

Derry (kriegt rote Ohren).

Berti (interessiert): Hast du mir etwa relevante Dinge aus deinem aktuellen Leben verschwiegen, mein Lieber?

Derry (verlegen): Es ist nicht, was du denkst.

Anne (grinst): Stimmt. Ihr habt bloß über Bücher geredet, über Lektorinnen, die es bedauern, keine mehr zu lektorieren, und über einen Verleger, dessen Ziel es ist, auf keinen Fall welche zu verlegen. (Schaut zum Tresen, nickt einem älteren Mann zu, der auf einem Hocker sitzt und scheinbar völlig uninteressiert an einem abgestandenen Bier nuckelt): Ich glaube, wir sollten die Runde komplettieren.

Derry: Den kenn ich doch …

Rudi: Ja, stimmt! Der war schon mal hier!

Derry: Als ich die dämliche Idee mit dem Verlag hatte!

Rudi: Und ich die dämliche Idee, darüber zu schreiben.

Der Mann nimmt sein Bier, steigt vom Barhocker und kommt zögernd näher.

Anne: Darf ich vorstellen? Ron.

Ron: Ist es nicht angebracht, bei der Wahrheit zu bleiben?

Anne: Herr Chist, ich bitte Sie! Sind Sie nicht ein Meister darin, Ihre Wahrheit in eigener Zusammenstellung als wahrhaftig zu postulieren? Wie Sie füge ich lediglich Dinge zusammen, die bereits da sind. Ich sage erst das eine und komplettiere es danach mit dem anderen, in der Gewissheit, dass nur das die Wahrheit sein kann, und dass sie auch alle anderen auf Anhieb verstehen. Und weil wir uns hier mit Vornamen anreden, finde ich Ron einen guten Kompromiss.

Ron (nimmt sich einen Stuhl vom Nachbartisch und setzt sich schweigend).

Ad (ärgerlich): Es wäre schon hilfreich zu wissen, mit wem wir an einem Tisch sitzen, finden Sie nicht?

Anne (schaut Ron an, lacht): Na, los, mein Lieber! Worauf warten Sie? Erzählen Sie den Figuren hier endlich, was Sie mit ihnen angestellt haben.

Ron (verstimmt): Ich habe lediglich Sachverhalte dokumentiert.

Anne: Die Ihnen andere in nach eigenem Gusto zusammengewürfelten Häppchen serviert haben. Sie sind wahrlich ein Ausbund an Neutralität.

Derry: Ich versteh gerade nur Bahnhof.

Ron (zu Anne, ärgerlich): SIE müssen gerade anfangen, von Manipulation zu reden! Wenn sich irgendwer die Leute nach eigenen Klischees zusammenbastelt, dann ja wohl Sie!

Rudi: Stimmt.

Anne (trinkt genussvoll einen Schluck Bier. Sieht der Reihe nach alle am Tisch an. Macht eine kleine Pause, bevor sie spricht): Die Wirklichkeit beinhaltet Ereignisse, die in unserem Leben stattfinden. Wahrheit ist die Bedeutung, die wir ihnen glauben geben zu müssen. Je enger wir emotional mit unseren Wahrheiten verbunden sind, desto intensiver versuchen wir, sie als die einzige, als die wahre Wahrheit zu postulieren. Die für alle zu gelten hat. Insofern haben Sie recht, Rudi.

Ad: Dieses theoretische Geschwafel konnte ich schon in der Schule nicht ab.

Derry: Weshalb du lieber Aufsätze und Diktate geschrieben hast.

Rudi: Muss ich das verstehen?

Anne (in die Runde): Kennen Sie Herrn Meyer?

Derry: Nein.

Rudi: Aber ja!

Ad: Ja.

Berti: Nein.

Anne: Und was heißt das nun?

Rudi: Dass Sie ein neues Spielchen mit uns spielen.

Anne (lächelt): Also ist Ihre Antwort auf das Spielchen auch eins. Mithin: Fake?

Rudi: Mitnichten!

Anne: Eine unüberlegte Äußerung eines ansonsten überaus überlegten Journalisten?

Rudi: Die spontane Antwort auf eine dämliche Frage! Einen Menschen mit Namen Meyer kennt doch jeder!

Anne: Also haben Herr Buchmann und Derry gelogen?

Derry: In meinem ganzen Bekanntenkreis gibt‘s keinen Meyer. Vielleicht irgendwo in der Firma. Aber ich bin ihm noch nicht begegnet, falls es ihn tatsächlich gibt.

Anne: Das klingt ehrlich. Die Frage bleibt: Ist es auch wahr? Oder fällt dir vielleicht doch noch ein, dass es irgendwo in deiner Vergangenheit einen dunklen Fleck namens Meyer gibt?

Derry: Also bitte!

Anne: Darf ich dich an den Verrückten erinnern, der dir vor acht Jahren den Wagen zu Schrott gefahren hat?

Derry: Der hieß Meyer? Hab ich doch glatt vergessen.

Anne: Manchmal nutzt es, Wahrscheinlichkeiten zu Rate zu ziehen, um einem Irrtum auf die Spur zu kommen. Sachkenntnis hilft natürlich auch.

Derry: Und warum erinnerst du dieses unwichtige Detail?

Anne (zuckt die Schultern): Das musst du die Regie fragen. (Sieht die anderen an.) Ich präzisiere: Kennen Sie den älteren Herrn namens Meyer, der mit Vornamen Daniel heißt, einen Schnauzer und graue Haare hat und im Hinterhaus von Herrn Buchmanns Laden wohnt? Im gleichen Haus übrigens wie Sie, Ad.

Rudi: Deshalb hat Ad ja Ja gesagt.

Derry: Du wohnst im Hinterhaus der Buchhandlung?? Das wusste ich ja gar nicht!

Ad: Was glaubst du denn, warum ich regelmäßig in diese ausgesuchte Kneipe gehe? Dass ich jedes Mal von Friedberg anreise, weil‘s hier so toll ist? Ja, der Meyer. Ich hab sofort gewusst, dass Sie nur den meinen können. Der totale Eigenbrötler. Redet nix, arbeitet nix. Ich seh den immer, wenn ich den Müll rausbringe.

Anne: Und Sie kennen ihn nicht, Herr Buchmann?

Berti: Nein. Ich habe zwar vermutet, dass Sie womöglich diesen Herrn meinen könnten, aber alles was ich über ihn weiß ist, dass er erst seit einigen Monaten in diesem Haus wohnt, dass er nach dem Tod seiner Frau sehr zurückgezogen lebt und wegen eines schweren Rückenleidens frühverrentet ist. Anfangs kam er hin und wieder in die Buchhandlung. Aber kennen? Nein, das wäre zu viel gesagt. Jetzt sehe ich ihn nur noch ab und zu, wenn ich den Müll rausbringe. Und was meine Person angeht, wäre klarzustellen: Ich bin nicht edel, ich bin alt.

Anne: Und ein bisschen aus der Welt gefallen. Ich mag Menschen wie Sie. Deshalb kann ich in Ihrem Fall auch nicht objektiv sein. Und nun denken Sie bitte alle darüber nach, welche Antworten die Wahrheit sind.

Berti: Wenn ich der wäre, für den Sie mich halten, hätte ich mich mit den neuen Medien auseinandergesetzt.

Anne (lächelt): Und längst den Laden renoviert. Aber den Ohrensessel dringelassen. Und eines ganz gewiss nicht getan: rosalila Schmachtlektüre gestapelt. (Sieht Ron an.) Sie werden sicher auch diese Informationen akribisch für die Nachwelt dokumentieren. Sie gehören nämlich zur Geschichte.

Ron: Sie wissen doch genau, dass ich das bestimmt nicht tun werde!

Anne (zuckt die Schultern).

Ron (verärgert): Wegen Irrelevanz des zugrundeliegenden Sachverhaltes habe ich die Chronistierungen gestern eingestellt!

Ad: Die was?

Anne (zu Ron): Es wird bloß nichts nützen. (Sie hebt lächelnd ihr Glas.) In diesem Sinne: Prost, meine Herren! Auf die Regie und den Thoni-Verlag, die uns heute hier zusammengeführt haben.

Alle heben ihr Glas.

Derry: Eine Frage noch?

Anne (nickt).

Derry: Was treibt Werner?

Anne: Ist in Reha.

Derry (entsetzt): Wie bitte?

Anne (schaut Ron an): Im Gegensatz zu q7 hat er den Herzinfarkt überlebt.

Derry: Wie kann ich ihn erreichen?

Anne (zuckt die Schultern): Sein Chef hat`s mir nicht verraten. Angeblich will er niemanden sehen. Aber ich glaube, er war nur zu taktvoll mir zu sagen, dass er mich nicht sehen will.

Ad: Wer ist Werner?

Anne (schaut Derry an): Ich sag dir mal was: Bücher lesen genügt auf die Dauer nicht. Wenn du nicht aufpasst, bist du der nächste. Ach ja, und noch was: Der Käsekuchen von Frau F. war nur Bestechung. Sie hofft immer noch auf den großen Durchbruch als Autorin. Und Sie, Herr Buchmann, sollten Ihrem Freund endlich beichten, was Sie schon lange vorhaben und heute Mittag konsequenterweise getan haben. Er ahnt es ohnehin. (Sie trinkt ihr Bier aus und steht auf.) Damit wäre alles gesagt, was es zu sagen gab. Einen schönen Abend noch, die Herren!

Nennt mich Anne.

Samstag, 31. März 2012.
Bei Willi vor der Ecke. Kneipengespräche. (9)


Der Verleger und Ad sitzen am Stammtisch. Jeder hat ein halbvolles Glas Bier vor sich.

Ad: Also, ich sag`s dir noch mal, Kumpel: Wir sollten endlich einsteigen, in dieses lukrative Geschäft!

Verleger: Nein.

Ad: Null Risiko bei minimaler Investition – Dein Nein ist das Dümmste, was dir dazu einfallen kann!

Verleger: Ich habe den Thoni-Verlag nicht gegründet, um …

Ad (unterbricht grinsend): Ich weiß ja, du willst partout keine Bücher verlegen. Musst du ja auch nicht.

Verleger: Ach? Und was sind eBooks bitte anderes?

Ad (erstaunt): Ich dachte, du bist so ein Schmökerfreak? Hast du mal bei amazon nachgeguckt, was da abgeht?

Verleger: Ich kaufe meine Bücher im Buchladen.

Ad: Um die Ecke, ja, ja. Weil`s so schön sentimental ist. Aber mal ehrlich: Wenn der Buchmann nicht dein bester Kumpel wäre …

Verleger: Berti ist kein Kumpel! Er ist mein Freund.

Ad (grinst): Davon hab ich mit Stand von heute ein gutes halbes Tausend für dich zusammengetragen. Falls es dich überhaupt interessiert.

Verleger: Nein.

Ad: Ich schwör`s dir, du hast null Arbeit mit der Sache. Das Konzept hab ich so gut wie fertig.

Verleger: Um Arbeit geht es nicht. Und dieser dämliche Facebook account wird gelöscht.

Ad: Facebook war sowieso nur als Einstieg gedacht. Wir müssen in die Foren.

Verleger: Ich muss gar nichts.

Ad: Du bist wirklich eine harte Nuss, Kumpel! Aber vielleicht wenn ich dir`s noch mal ganz genau erkläre? Also, der Kardinalfehler, den ihr Bücherleute macht ist zu glauben, euer Produkt verkaufe sich von allein, nur weil es kulturell so außerordentlich wertvoll sei. Selbst wenn dem so wäre – woran ich angesichts mancher Druckwerke aufrichtigen Zweifel hege – reicht es nicht, in einer verstaubten Buchhandlung oder einem ebensolchen Verlag darauf zu warten, dass die Kunden von selbst kommen. Kunden können nur kaufen, wenn sie wissen, wo sie das finden, was sie kaufen wollen. Oder wenn man ihnen den Mund so wässrig macht, dass sie unbedingt das kaufen wollen, von dem man will, dass sie es kaufen sollen. Weil man`s nun mal produziert hat. Die Gründe sind egal, sie müssen nur eingängig sein, plausibel, verkaufsträchtig. Und hier kannst du jetzt alle deine hehren Ziele platzieren: Verkauf deine Bücher meinetwegen, weil sie kulturell wertvoll sind. Oder weil du deinen Kunden was Gutes tun willst. Oder weil du Kohle machen willst. Oder alles zusammen. Insofern macht es keinen Unterschied, ob du ein Vermarktungskonzept für Bücher oder für Hämorrhoidensalbe erstellst.

Verleger: Mund wässrig machen mit Hämorrhoidensalbe. Alles klar.

Ad: Du nimmst mich nicht ernst!

Verleger: Wie sollte ich, wenn du Bücher mit Hämorrhoiden vergleichst.

Ad: Also gut. Noch mal von vorn. Du hast einen Verlag gegründet. Das Motiv ist nebulös, aber unwichtig. Wichtig ist, dass dein komischer Verlag sich von anderen unterscheidet, weil du genau das tust, was alle von einem Verleger NICHT erwarten. Das macht deinen Verlag unverwechselbar, was dazu führt, dass die Öffentlichkeit ihn verstärkt wahrnimmt …

Verleger: … in Form von sinnfreien Glossen im örtlichen Käseblatt …

Ad: … die offenbar von vielen Leuten gelesen werden …

Verleger: … weshalb sie unlängst eingestellt wurden, was ich keinesfalls bedaure.

Ad: Seit Bestehen werden dem Thoni-Verlag eine Unmasse an unverlangten Manuskripten zugeschickt, und zwar auffallend gehäuft nach den von dir so verschmähten Artikeln im NNB, und zwar in der Mehrzahl der Fälle elektronisch, was bedeutet, dass …

Verleger: … die Leute nicht nur schlechte Texte verfassen, sondern auch unfallfrei eMails verschicken können.

Ad: Der unbestreitbare Vorteil der elektronischen Medien ist, dass so gut wie keine Kosten anfallen. Und damit wären wir beim Punkt: Alle diese Leute wollen veröffentlicht werden! Natürlich könnten sie es auch selber machen, ist ja kein Problem mehr heutzutage! Aber glaub`s mir: Die meisten Indies würden sich die Finger lecken, wenn sie ein Verlagsangebot bekämen. Selbst wenn dieser Verlag letztlich nichts anders täte als sie selbst tun würden. Na gut, ein bisschen besser formatieren sollten wir das Zeug schon.

Verleger: Indies?

Ad: Du hast ja wirklich null Ahnung! Independent authors. Oder so ähnlich. Ist auch wurscht. Leute eben, die schreiben und selbst veröffentlichen. Früher haben sie ihre Manuskripte per Post an sämtliche Adressen geschickt, in denen das Wort Verlag vorkam, dann sind sie scharenweise Druckkostenzuschussdienstleistern auf den Leim gegangen, die ihnen tausende von Euro aus dem Sack zogen, damit auf ihren Drucksachen irgendwo das Wort Verlag erschien, was sie mindestens für die Freundin und die Oma zu ernstzunehmenden Schriftstellern machte. Wobei ich anmerken muss, dass ich das zugrundeliegende Geschäftsmodell dieser DKZler durchaus bewundernswert finde. Zumindest, was die Rendite angeht. Tja, und als nächstes gab‘s die Books-on Demand Welle, da war‘s zwar billiger, aber es blieb doch ein Publizieren ohne Verlag. Und jetzt hat amazon mit dem eBook-Direktpublishing die Schleusen geöffnet. Ich sag‘s dir: Was da abgeht, ist nicht von dieser Welt.

Verleger: Mithin Zeitverschwendung.

Ad: Nee. Genau da liegt die Zukunft, Kumpel! Na gut, vielleicht nicht für anspruchsvolle Leser wie dich. Aber du bist sowieso kein Gradmesser für den Zeitgeist. Der Zeitgeist liest online. Und ist voll auf „e“ gepolt.

Verleger: Ich habe durchaus schon damit geliebäugelt, mir einen Reader anzuschaffen.

Ad: Lass es.

Verleger: Ich lasse es auch. Aber nicht, weil ich fände, dass man nicht auch auf elektronischem Wege gute Bücher herstellen könnte. Aber sie bleiben ja doch virtuell, diese Bücher. Und ich sehe nicht ein, für eine Datei nur unwesentlich weniger auszugeben als für ein gedrucktes Buch. Noch dazu, wenn ich vorher für auch nicht gerade wenig Geld ein Gerät kaufen muss, um diese Dateien überhaupt lesen zu können.

Ad: Genau darum geht es! Zurzeit gibt es auf diesem Markt nur überteuert oder umsonst. Schätzungsweise 80% der Mitglieder in den einschlägigen eBook-Leserforen sind, wenn ich die Art der geposteten Beiträge analysiere, in Wahrheit wohl weniger Leser, sondern vor allem Schreiber, die gerade einen Text ins Netz gejagt haben, den sie mit stolzgeschwellter Brust Roman nennen, und sie tun alles, aber wirklich alles, um ihre Machwerke unter die Leute zu bringen. Du glaubst nicht, was da für grottenschlechtes Zeug dabei ist. Hätte ich das früher in der Schule als Aufsatz oder Diktat abgegeben, ich wäre sitzengeblieben! Daran gemessen, erhält der Thoni-Verlag geradezu literarische Meisterwerke zugeschickt.

Verleger: Und dein geniales Konzept sieht nun vor, es den Produzenten dieses grottenschlechten Zeugs noch leichter zu machen, Leser zu belästigen? Und das auch noch gegen Bezahlung und in meinem Namen? Nix da!

Ad (ungeduldig): Du hörst mir einfach nicht zu! Auf die ganz Grottenschlechten sind wir gar nicht angewiesen! Ich wollte dir lediglich den Mechanismus erklären, kapiert? Jeden Tag trudeln im Thoni-Verlag mehrere Manuskripte ein. Das macht in der Summe mittlerweile fast ein halbes Tausend aus. Ich hab denen zwar gesammelt die üblichen Absagen geschickt, aber in weiser Voraussicht Namen, Werktitel und Mailadressen gespeichert. Einige von den Dingern stehen inzwischen bei amazon, und die Verfasser üben sich darin, gefakte Rezensionen zu posten und auf Facebook und in den entsprechenden Foren die Leute mit Selbstlob zuzuspammen. Beides führt nicht wirklich zum Erfolg, wie die Rankings und Kommentare genervter Leser zeigen. Genau hier setzt mein Konzept an:
1. Die ausschließliche Ausrichtung des Thoni-Verlags auf eBooks.
2. Die Nutzung des Untertitels „ohne Bücher“ als augenzwinkernden Werbeeinstieg, frei nach dem Motto: Junger Verlag sucht Bücher, denn wir haben noch keine. Oder: Wir machen gute eBücher, liebe Autoren seid stolz darauf! Und wenn Ihr nicht ernstgenommen werdet in der Welt der hehren Literaten, na gut, dann kontert: Stimmt! Unsere Bücher sind keine richtigen Bücher. Deshalb werden wir ja auch in einem Verlag ohne Bücher verlegt. (lacht) Ist das nicht genial?
(Der Verleger will was sagen, aber Ad fährt ungerührt fort):
3. Zu einem angemessenen Preis bieten wir die Konvertierung eingereichter Word-Dokumente in alle gängigen eBook-Formate an. Voraussetzung ist natürlich, dass die Autoren die Texte fix und fertig gesetzt haben und wir keinerlei Garantie für das Layout übernehmen. Für die Konvertierung gibt’s übrigens Gratisprogramme im Internet. Hab ich mir schon runtergeladen, und es funktioniert prima.
4. Der Thoni-Verlag …

Verleger: … ist kein Verlag, wenn er die Autoren die Verlagsarbeit selber machen lässt!

Ad: Der Thoni-Verlag garantiert die Präsentation aller verlegten Werke auf diversen Plattformen im Netz, und er …

Verleger: … zockt die einen ab, um die anderen zuzuspammen. Vergiss es.

Ad: Denk einfach noch mal in Ruhe drüber nach.

Verleger: Habe ich schon. Und gerade die Lösung für alle deine Probleme gefunden.

Ad: Tatsächlich?

Verleger: Du bist gefeuert.

Ad (entgeistert): Das meinst du jetzt nicht im Ernst, Kumpel!

Verleger: Ganz ernst, Kumpel. Und den Pseudolektor samt Schnapspulle nimmst du bitte gleich mit.

Ad (schluckt, aber dann berappelt er sich): Na gut. Dann verkauf mir den Verlag.

Verleger: Nein.

Ad: Du hast nicht mal gefragt, wie viel ich dir bieten würde!

Verleger: Weil‘s mir egal ist.

Ad: Die ganze Zeit wolltest du das Ding loswerden, und jetzt ...

Verleger: Ich werd`s ja los.

Ad: Ach?

Verleger: Es gibt einen ernstzunehmenden Interessenten. Besser gesagt, eine Interessentin.

Ad (erfreut): Und das sagst du mir erst jetzt? Ich wäre natürlich an einer Beteiligung interessiert! Kannst du ein gutes Wort einlegen?

Verleger: Das wird wenig Sinn haben. Sie wird nämlich im Sinne der Verlagsphilosophie handeln.
 
Ad: Die da wäre?

Verleger: Einen Verlag zu führen, der keine Bücher verlegt.

Ad: Und was will sie dann damit?

Verleger: Bücher verlegen.

Ad: Versteh ich nicht.

Verleger: Ich auch nicht. Aber ich kenne sie und bin sicher, dass es funktioniert.

Ad: Das ist ja die Höhe! Diese schwachsinnige Idee findest du gut und mein durchdachtes Konzept wischst du verächtlich beiseite? Dabei hast du nicht mal die Kalkulation gesehen!

Verleger: Ich kenne dich. Das reicht als Kalkulation.

Ad (ungerührt): Aber die braucht doch bestimmt fähige Mitarbeiter! Ich könnte …

Verleger: Vergiss es, Ad. Hämorrhoidensalbe steht nicht auf ihrem Speiseplan.

Ad: Wenn ich das richtig verstanden habe, hat sie also noch nicht gekauft?

Verleger (lächelt): Braucht sie nicht. Ich werde ihr den Verlag schenken. Vielleicht bleibe ich auch als Berater. Fürs Marketing. Mal sehen.

Ad: Du verscheißerst mich.

Verleger (grinst): Stimmt. Aber du hast es ja nicht anders gewollt.


Die Tür geht auf. Berti kommt herein. Er sieht Ad und verzieht unmerklich das Gesicht.

Verleger: Du kannst dich beruhigt zu uns gesellen, Berti! Ad und ich haben gerade alles geklärt.

Ad: Das sehe ich aber anders!

Verleger: Ich habe ihn fristlos entlassen.

Berti (lächelt und setzt sich): Heißt das, dass ich die Hoffnung haben darf, heute Abend nicht über die neuesten Marktentwicklungschancen der Buchbranche informiert zu werden?

Ad: So kannst du nicht mit mir umspringen, Kumpel!

Verleger: Doch. Und jetzt beruhig dich wieder. (ruft in Richtung Tresen): Willi – drei Bier!

Ad: Das ist also dein Dank für die ganze Arbeit, die ich in deinen dämlichen Verlag gesteckt habe?

Die Tür geht auf. Reporter Rudi Ratlos kommt herein.

Ad (winkt ihm zu): He! Sie schickt der Himmel!

Rudi (kommt zum Tisch): Guten Abend, die Herren.

Ad: Stellen Sie sich vor: Der Thoni-Verlag soll geschlossen werden!

Verleger: Falsch. Er wird verschenkt. Und anschließend im traditionellen Stil weitergeführt.

Ad: Hahaha! Der traditionelle Stil bin ich! Alles, was diesen bescheuerten Verlag bekannt gemacht hat, habe ich kreiert! All die Slogans und Internetpostings! Und außerdem: Wer hat denn die Kontakte zur Presse hergestellt?

Rudi (setzt sich): Und all die hübschen Absagemails geschickt …

Ad: Na, das gehört ja wohl dazu.

Rudi: Pech nur, wenn eine besonders nett formulierte davon dem Redaktionschef und verkannten Schriftstellergenie der örtlichen Zeitung zugeht, die dem Verlag als einzige ein Forum gegeben hat.

Ad (starrt ihn entgeistert an): Nee, oder?

Rudi: Tja. Eine weitere Berichterstattung über den Thoni-Verlag im NNB wird es nicht geben. Es sei denn, es ließe sich belegen, dass die Betreiber Betrüger oder sonstige verabscheuungswürdige Subjekte sind.

Verleger (verschluckt sich vor Lachen am Bier).

Die Tür geht auf. Eine Frau kommt herein.
Der Verleger stutzt und schaut noch mal hin. Berti versucht sich zu erinnern, dass ihm die Fragezeichen auf der Stirn stehen.

Ad: Kennt ihr die etwa?

Rudi: Ich jedenfalls nicht.

Die Frau hängt ihre Jacke an die Garderobe und kommt zum Tisch. Im Vorbeigehen sagt sie freundlich zu Willi: Bitte eine Runde Bier für alle.

Willi: Ist schon in der Mache!

Rudi (starrt die Frau an): Das glaub ich ja nicht! SIE sind das?

Berti (steht auf und gibt ihr die Hand): Jetzt weiß ich, woher ich Sie kenne. Oder besser gesagt, Ihr Bild. Gestatten Sie mir das Kompliment, dass …

Verleger (ist ebenfalls aufgestanden): Eva! Was machst du hier?

Ad (bleibt demonstrativ sitzen): Ich fänd‘s nett, wenn mir mal jemand erklären würde …

Rudi (schaut überrascht von Eva zu Berti und dem Verleger): Sie kennen sich?

Verleger: Wie geht`s Werner?

Eva: Ich schlage vor, Sie setzen sich, und wir trinken ein Bier zusammen. Und Sie nennen mich der Einfachheit halber Anne. (sieht lächelnd den Verleger an) Du auch, bitte.

Rudi: Warum haben Sie mich …

Anne: Ich konnte nichts dafür.

Rudi: Dafür klangen Sie aber reichlich engagiert.

Anne: Wann kommt das Interview?

Rudi: Wann immer Sie es wünschen.

Anne: Also gar nicht.

Willi bringt das Bier. Anne wartet, bis jeder sein Glas vor sich stehen hat. Sie trinkt einen Schluck und wischt den Schaum mit der Hand weg. Sie schaut den Verleger an.

Anne: Ich wollte unbedingt herkommen, ehe es zu Ende ist. Aber ich musste Bedingungen akzeptieren, die ich weder angemessen noch nachvollziehbar finde.

Verleger: Ich verstehe nicht, was du meinst.

Anne: Ich darf hier sein, aber ich darf nicht frei entscheiden, was ich sage, Manches darf ich gar nicht sagen. Manches muss ich sagen, auch wenn ich das gar nicht will. Einiges wird nicht nur unlogisch klingen, sondern unlogisch sein. Aber bitte glaubt mir eines: Gleichgültig, wie dieses Gespräch verlaufen mag: Ich schätze Euch. Sie, Ad, und selbst wenn sie es nicht für möglich halten, auch Sie, Rudi. Herrn Buchmann sowieso. Und dich, Derry. Dich ganz besonders. Was deine Frau mit dir gemacht hat, war nicht fair. Bewundernswert, wie du das weggesteckt hast.

Derry: Äh, ich glaube …

Anne: Siehst du, damit fängt das Dilemma an. Ich hätte mich so gern mal mit dir allein getroffen. Aber das hat die Regie nicht vorgesehen.

Rudi: Welche Regie?

Anne (schaut Berti an): Ich stand die Tage vor Ihrem Laden, Herr Buchmann. Ich habe mich aber nicht hineingetraut.

Berti (lächelt): Ich weiß.

Rudi: Sagt die Regie.

Anne: Stimmt.

Alle lachen.

Anne: Also, wenn Sie trotz dieser dämlichen Vorgaben mit mir ein Bier trinken und reden wollen …?

Alle nicken.