Sonntag, 1. April 2012

Nennt mich Anne.

Samstag, 31. März 2012.
Bei Willi vor der Ecke. Kneipengespräche. (9)


Der Verleger und Ad sitzen am Stammtisch. Jeder hat ein halbvolles Glas Bier vor sich.

Ad: Also, ich sag`s dir noch mal, Kumpel: Wir sollten endlich einsteigen, in dieses lukrative Geschäft!

Verleger: Nein.

Ad: Null Risiko bei minimaler Investition – Dein Nein ist das Dümmste, was dir dazu einfallen kann!

Verleger: Ich habe den Thoni-Verlag nicht gegründet, um …

Ad (unterbricht grinsend): Ich weiß ja, du willst partout keine Bücher verlegen. Musst du ja auch nicht.

Verleger: Ach? Und was sind eBooks bitte anderes?

Ad (erstaunt): Ich dachte, du bist so ein Schmökerfreak? Hast du mal bei amazon nachgeguckt, was da abgeht?

Verleger: Ich kaufe meine Bücher im Buchladen.

Ad: Um die Ecke, ja, ja. Weil`s so schön sentimental ist. Aber mal ehrlich: Wenn der Buchmann nicht dein bester Kumpel wäre …

Verleger: Berti ist kein Kumpel! Er ist mein Freund.

Ad (grinst): Davon hab ich mit Stand von heute ein gutes halbes Tausend für dich zusammengetragen. Falls es dich überhaupt interessiert.

Verleger: Nein.

Ad: Ich schwör`s dir, du hast null Arbeit mit der Sache. Das Konzept hab ich so gut wie fertig.

Verleger: Um Arbeit geht es nicht. Und dieser dämliche Facebook account wird gelöscht.

Ad: Facebook war sowieso nur als Einstieg gedacht. Wir müssen in die Foren.

Verleger: Ich muss gar nichts.

Ad: Du bist wirklich eine harte Nuss, Kumpel! Aber vielleicht wenn ich dir`s noch mal ganz genau erkläre? Also, der Kardinalfehler, den ihr Bücherleute macht ist zu glauben, euer Produkt verkaufe sich von allein, nur weil es kulturell so außerordentlich wertvoll sei. Selbst wenn dem so wäre – woran ich angesichts mancher Druckwerke aufrichtigen Zweifel hege – reicht es nicht, in einer verstaubten Buchhandlung oder einem ebensolchen Verlag darauf zu warten, dass die Kunden von selbst kommen. Kunden können nur kaufen, wenn sie wissen, wo sie das finden, was sie kaufen wollen. Oder wenn man ihnen den Mund so wässrig macht, dass sie unbedingt das kaufen wollen, von dem man will, dass sie es kaufen sollen. Weil man`s nun mal produziert hat. Die Gründe sind egal, sie müssen nur eingängig sein, plausibel, verkaufsträchtig. Und hier kannst du jetzt alle deine hehren Ziele platzieren: Verkauf deine Bücher meinetwegen, weil sie kulturell wertvoll sind. Oder weil du deinen Kunden was Gutes tun willst. Oder weil du Kohle machen willst. Oder alles zusammen. Insofern macht es keinen Unterschied, ob du ein Vermarktungskonzept für Bücher oder für Hämorrhoidensalbe erstellst.

Verleger: Mund wässrig machen mit Hämorrhoidensalbe. Alles klar.

Ad: Du nimmst mich nicht ernst!

Verleger: Wie sollte ich, wenn du Bücher mit Hämorrhoiden vergleichst.

Ad: Also gut. Noch mal von vorn. Du hast einen Verlag gegründet. Das Motiv ist nebulös, aber unwichtig. Wichtig ist, dass dein komischer Verlag sich von anderen unterscheidet, weil du genau das tust, was alle von einem Verleger NICHT erwarten. Das macht deinen Verlag unverwechselbar, was dazu führt, dass die Öffentlichkeit ihn verstärkt wahrnimmt …

Verleger: … in Form von sinnfreien Glossen im örtlichen Käseblatt …

Ad: … die offenbar von vielen Leuten gelesen werden …

Verleger: … weshalb sie unlängst eingestellt wurden, was ich keinesfalls bedaure.

Ad: Seit Bestehen werden dem Thoni-Verlag eine Unmasse an unverlangten Manuskripten zugeschickt, und zwar auffallend gehäuft nach den von dir so verschmähten Artikeln im NNB, und zwar in der Mehrzahl der Fälle elektronisch, was bedeutet, dass …

Verleger: … die Leute nicht nur schlechte Texte verfassen, sondern auch unfallfrei eMails verschicken können.

Ad: Der unbestreitbare Vorteil der elektronischen Medien ist, dass so gut wie keine Kosten anfallen. Und damit wären wir beim Punkt: Alle diese Leute wollen veröffentlicht werden! Natürlich könnten sie es auch selber machen, ist ja kein Problem mehr heutzutage! Aber glaub`s mir: Die meisten Indies würden sich die Finger lecken, wenn sie ein Verlagsangebot bekämen. Selbst wenn dieser Verlag letztlich nichts anders täte als sie selbst tun würden. Na gut, ein bisschen besser formatieren sollten wir das Zeug schon.

Verleger: Indies?

Ad: Du hast ja wirklich null Ahnung! Independent authors. Oder so ähnlich. Ist auch wurscht. Leute eben, die schreiben und selbst veröffentlichen. Früher haben sie ihre Manuskripte per Post an sämtliche Adressen geschickt, in denen das Wort Verlag vorkam, dann sind sie scharenweise Druckkostenzuschussdienstleistern auf den Leim gegangen, die ihnen tausende von Euro aus dem Sack zogen, damit auf ihren Drucksachen irgendwo das Wort Verlag erschien, was sie mindestens für die Freundin und die Oma zu ernstzunehmenden Schriftstellern machte. Wobei ich anmerken muss, dass ich das zugrundeliegende Geschäftsmodell dieser DKZler durchaus bewundernswert finde. Zumindest, was die Rendite angeht. Tja, und als nächstes gab‘s die Books-on Demand Welle, da war‘s zwar billiger, aber es blieb doch ein Publizieren ohne Verlag. Und jetzt hat amazon mit dem eBook-Direktpublishing die Schleusen geöffnet. Ich sag‘s dir: Was da abgeht, ist nicht von dieser Welt.

Verleger: Mithin Zeitverschwendung.

Ad: Nee. Genau da liegt die Zukunft, Kumpel! Na gut, vielleicht nicht für anspruchsvolle Leser wie dich. Aber du bist sowieso kein Gradmesser für den Zeitgeist. Der Zeitgeist liest online. Und ist voll auf „e“ gepolt.

Verleger: Ich habe durchaus schon damit geliebäugelt, mir einen Reader anzuschaffen.

Ad: Lass es.

Verleger: Ich lasse es auch. Aber nicht, weil ich fände, dass man nicht auch auf elektronischem Wege gute Bücher herstellen könnte. Aber sie bleiben ja doch virtuell, diese Bücher. Und ich sehe nicht ein, für eine Datei nur unwesentlich weniger auszugeben als für ein gedrucktes Buch. Noch dazu, wenn ich vorher für auch nicht gerade wenig Geld ein Gerät kaufen muss, um diese Dateien überhaupt lesen zu können.

Ad: Genau darum geht es! Zurzeit gibt es auf diesem Markt nur überteuert oder umsonst. Schätzungsweise 80% der Mitglieder in den einschlägigen eBook-Leserforen sind, wenn ich die Art der geposteten Beiträge analysiere, in Wahrheit wohl weniger Leser, sondern vor allem Schreiber, die gerade einen Text ins Netz gejagt haben, den sie mit stolzgeschwellter Brust Roman nennen, und sie tun alles, aber wirklich alles, um ihre Machwerke unter die Leute zu bringen. Du glaubst nicht, was da für grottenschlechtes Zeug dabei ist. Hätte ich das früher in der Schule als Aufsatz oder Diktat abgegeben, ich wäre sitzengeblieben! Daran gemessen, erhält der Thoni-Verlag geradezu literarische Meisterwerke zugeschickt.

Verleger: Und dein geniales Konzept sieht nun vor, es den Produzenten dieses grottenschlechten Zeugs noch leichter zu machen, Leser zu belästigen? Und das auch noch gegen Bezahlung und in meinem Namen? Nix da!

Ad (ungeduldig): Du hörst mir einfach nicht zu! Auf die ganz Grottenschlechten sind wir gar nicht angewiesen! Ich wollte dir lediglich den Mechanismus erklären, kapiert? Jeden Tag trudeln im Thoni-Verlag mehrere Manuskripte ein. Das macht in der Summe mittlerweile fast ein halbes Tausend aus. Ich hab denen zwar gesammelt die üblichen Absagen geschickt, aber in weiser Voraussicht Namen, Werktitel und Mailadressen gespeichert. Einige von den Dingern stehen inzwischen bei amazon, und die Verfasser üben sich darin, gefakte Rezensionen zu posten und auf Facebook und in den entsprechenden Foren die Leute mit Selbstlob zuzuspammen. Beides führt nicht wirklich zum Erfolg, wie die Rankings und Kommentare genervter Leser zeigen. Genau hier setzt mein Konzept an:
1. Die ausschließliche Ausrichtung des Thoni-Verlags auf eBooks.
2. Die Nutzung des Untertitels „ohne Bücher“ als augenzwinkernden Werbeeinstieg, frei nach dem Motto: Junger Verlag sucht Bücher, denn wir haben noch keine. Oder: Wir machen gute eBücher, liebe Autoren seid stolz darauf! Und wenn Ihr nicht ernstgenommen werdet in der Welt der hehren Literaten, na gut, dann kontert: Stimmt! Unsere Bücher sind keine richtigen Bücher. Deshalb werden wir ja auch in einem Verlag ohne Bücher verlegt. (lacht) Ist das nicht genial?
(Der Verleger will was sagen, aber Ad fährt ungerührt fort):
3. Zu einem angemessenen Preis bieten wir die Konvertierung eingereichter Word-Dokumente in alle gängigen eBook-Formate an. Voraussetzung ist natürlich, dass die Autoren die Texte fix und fertig gesetzt haben und wir keinerlei Garantie für das Layout übernehmen. Für die Konvertierung gibt’s übrigens Gratisprogramme im Internet. Hab ich mir schon runtergeladen, und es funktioniert prima.
4. Der Thoni-Verlag …

Verleger: … ist kein Verlag, wenn er die Autoren die Verlagsarbeit selber machen lässt!

Ad: Der Thoni-Verlag garantiert die Präsentation aller verlegten Werke auf diversen Plattformen im Netz, und er …

Verleger: … zockt die einen ab, um die anderen zuzuspammen. Vergiss es.

Ad: Denk einfach noch mal in Ruhe drüber nach.

Verleger: Habe ich schon. Und gerade die Lösung für alle deine Probleme gefunden.

Ad: Tatsächlich?

Verleger: Du bist gefeuert.

Ad (entgeistert): Das meinst du jetzt nicht im Ernst, Kumpel!

Verleger: Ganz ernst, Kumpel. Und den Pseudolektor samt Schnapspulle nimmst du bitte gleich mit.

Ad (schluckt, aber dann berappelt er sich): Na gut. Dann verkauf mir den Verlag.

Verleger: Nein.

Ad: Du hast nicht mal gefragt, wie viel ich dir bieten würde!

Verleger: Weil‘s mir egal ist.

Ad: Die ganze Zeit wolltest du das Ding loswerden, und jetzt ...

Verleger: Ich werd`s ja los.

Ad: Ach?

Verleger: Es gibt einen ernstzunehmenden Interessenten. Besser gesagt, eine Interessentin.

Ad (erfreut): Und das sagst du mir erst jetzt? Ich wäre natürlich an einer Beteiligung interessiert! Kannst du ein gutes Wort einlegen?

Verleger: Das wird wenig Sinn haben. Sie wird nämlich im Sinne der Verlagsphilosophie handeln.
 
Ad: Die da wäre?

Verleger: Einen Verlag zu führen, der keine Bücher verlegt.

Ad: Und was will sie dann damit?

Verleger: Bücher verlegen.

Ad: Versteh ich nicht.

Verleger: Ich auch nicht. Aber ich kenne sie und bin sicher, dass es funktioniert.

Ad: Das ist ja die Höhe! Diese schwachsinnige Idee findest du gut und mein durchdachtes Konzept wischst du verächtlich beiseite? Dabei hast du nicht mal die Kalkulation gesehen!

Verleger: Ich kenne dich. Das reicht als Kalkulation.

Ad (ungerührt): Aber die braucht doch bestimmt fähige Mitarbeiter! Ich könnte …

Verleger: Vergiss es, Ad. Hämorrhoidensalbe steht nicht auf ihrem Speiseplan.

Ad: Wenn ich das richtig verstanden habe, hat sie also noch nicht gekauft?

Verleger (lächelt): Braucht sie nicht. Ich werde ihr den Verlag schenken. Vielleicht bleibe ich auch als Berater. Fürs Marketing. Mal sehen.

Ad: Du verscheißerst mich.

Verleger (grinst): Stimmt. Aber du hast es ja nicht anders gewollt.


Die Tür geht auf. Berti kommt herein. Er sieht Ad und verzieht unmerklich das Gesicht.

Verleger: Du kannst dich beruhigt zu uns gesellen, Berti! Ad und ich haben gerade alles geklärt.

Ad: Das sehe ich aber anders!

Verleger: Ich habe ihn fristlos entlassen.

Berti (lächelt und setzt sich): Heißt das, dass ich die Hoffnung haben darf, heute Abend nicht über die neuesten Marktentwicklungschancen der Buchbranche informiert zu werden?

Ad: So kannst du nicht mit mir umspringen, Kumpel!

Verleger: Doch. Und jetzt beruhig dich wieder. (ruft in Richtung Tresen): Willi – drei Bier!

Ad: Das ist also dein Dank für die ganze Arbeit, die ich in deinen dämlichen Verlag gesteckt habe?

Die Tür geht auf. Reporter Rudi Ratlos kommt herein.

Ad (winkt ihm zu): He! Sie schickt der Himmel!

Rudi (kommt zum Tisch): Guten Abend, die Herren.

Ad: Stellen Sie sich vor: Der Thoni-Verlag soll geschlossen werden!

Verleger: Falsch. Er wird verschenkt. Und anschließend im traditionellen Stil weitergeführt.

Ad: Hahaha! Der traditionelle Stil bin ich! Alles, was diesen bescheuerten Verlag bekannt gemacht hat, habe ich kreiert! All die Slogans und Internetpostings! Und außerdem: Wer hat denn die Kontakte zur Presse hergestellt?

Rudi (setzt sich): Und all die hübschen Absagemails geschickt …

Ad: Na, das gehört ja wohl dazu.

Rudi: Pech nur, wenn eine besonders nett formulierte davon dem Redaktionschef und verkannten Schriftstellergenie der örtlichen Zeitung zugeht, die dem Verlag als einzige ein Forum gegeben hat.

Ad (starrt ihn entgeistert an): Nee, oder?

Rudi: Tja. Eine weitere Berichterstattung über den Thoni-Verlag im NNB wird es nicht geben. Es sei denn, es ließe sich belegen, dass die Betreiber Betrüger oder sonstige verabscheuungswürdige Subjekte sind.

Verleger (verschluckt sich vor Lachen am Bier).

Die Tür geht auf. Eine Frau kommt herein.
Der Verleger stutzt und schaut noch mal hin. Berti versucht sich zu erinnern, dass ihm die Fragezeichen auf der Stirn stehen.

Ad: Kennt ihr die etwa?

Rudi: Ich jedenfalls nicht.

Die Frau hängt ihre Jacke an die Garderobe und kommt zum Tisch. Im Vorbeigehen sagt sie freundlich zu Willi: Bitte eine Runde Bier für alle.

Willi: Ist schon in der Mache!

Rudi (starrt die Frau an): Das glaub ich ja nicht! SIE sind das?

Berti (steht auf und gibt ihr die Hand): Jetzt weiß ich, woher ich Sie kenne. Oder besser gesagt, Ihr Bild. Gestatten Sie mir das Kompliment, dass …

Verleger (ist ebenfalls aufgestanden): Eva! Was machst du hier?

Ad (bleibt demonstrativ sitzen): Ich fänd‘s nett, wenn mir mal jemand erklären würde …

Rudi (schaut überrascht von Eva zu Berti und dem Verleger): Sie kennen sich?

Verleger: Wie geht`s Werner?

Eva: Ich schlage vor, Sie setzen sich, und wir trinken ein Bier zusammen. Und Sie nennen mich der Einfachheit halber Anne. (sieht lächelnd den Verleger an) Du auch, bitte.

Rudi: Warum haben Sie mich …

Anne: Ich konnte nichts dafür.

Rudi: Dafür klangen Sie aber reichlich engagiert.

Anne: Wann kommt das Interview?

Rudi: Wann immer Sie es wünschen.

Anne: Also gar nicht.

Willi bringt das Bier. Anne wartet, bis jeder sein Glas vor sich stehen hat. Sie trinkt einen Schluck und wischt den Schaum mit der Hand weg. Sie schaut den Verleger an.

Anne: Ich wollte unbedingt herkommen, ehe es zu Ende ist. Aber ich musste Bedingungen akzeptieren, die ich weder angemessen noch nachvollziehbar finde.

Verleger: Ich verstehe nicht, was du meinst.

Anne: Ich darf hier sein, aber ich darf nicht frei entscheiden, was ich sage, Manches darf ich gar nicht sagen. Manches muss ich sagen, auch wenn ich das gar nicht will. Einiges wird nicht nur unlogisch klingen, sondern unlogisch sein. Aber bitte glaubt mir eines: Gleichgültig, wie dieses Gespräch verlaufen mag: Ich schätze Euch. Sie, Ad, und selbst wenn sie es nicht für möglich halten, auch Sie, Rudi. Herrn Buchmann sowieso. Und dich, Derry. Dich ganz besonders. Was deine Frau mit dir gemacht hat, war nicht fair. Bewundernswert, wie du das weggesteckt hast.

Derry: Äh, ich glaube …

Anne: Siehst du, damit fängt das Dilemma an. Ich hätte mich so gern mal mit dir allein getroffen. Aber das hat die Regie nicht vorgesehen.

Rudi: Welche Regie?

Anne (schaut Berti an): Ich stand die Tage vor Ihrem Laden, Herr Buchmann. Ich habe mich aber nicht hineingetraut.

Berti (lächelt): Ich weiß.

Rudi: Sagt die Regie.

Anne: Stimmt.

Alle lachen.

Anne: Also, wenn Sie trotz dieser dämlichen Vorgaben mit mir ein Bier trinken und reden wollen …?

Alle nicken.

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