Donnerstag, 29. Dezember 2011

Ein Hoch der literarischen Langsamkeit.

29. Dezember 2011.
Der Chronist. Medienauswertung (8)


Frankfurter Allgemeine Zeitung. Feuilleton. Interview.
Zukunft der Buchbranche. Es bleibt kein Stein auf dem anderen (Auszug)

Die wichtigste Neugründung auf dem deutschen Buchmarkt ist Hanser Berlin. Elisabeth Ruge, die das Programm verantwortet, und Hanser-Verleger Michael Krüger verraten im F.A.Z.-Gespräch ihre großen Pläne.

Michael Krüger: Mittlerweile kommen achtzig Prozent aller literarischen Neuerscheinungen und Sachbücher aus drei Konzernen: Holtzbrinck, Bertelsmann, Bonnier. Diese Konzerne verfügen über eine enorme Distributionskraft. Sie stehen einem Buchhandel gegenüber, der nach wie vor - zumindest in Teilen - individualistisch denken muss. Es gibt insgesamt maximal vierzig bis fünfzig Titel pro Saison, die wirklich durchgesetzt werden können. All die andere enorme imaginative Anstrengung kann nicht entlohnt werden. Das heißt, da sitzt jemand und arbeitet und arbeitet, und wenn er nicht auf dieser Lichtung angekommen ist, wo die Sonne scheint und jemand sagt, der ist preiswürdig und gut, bleibt es dunkel um ihn. Andererseits ist diese Imagination ja da, sonst würden die Leute nicht schreiben. (…)
Es gibt viele drängende Fragen im Buchgeschäft. Und bei deren Beantwortung muss man schnell sein, damit man dem Fortschritt nicht immer von hinten in den Nacken guckt. Die Frage lautet: Wo steht ein mittelständisches Unternehmen wie wir in zehn Jahren?

Wagen Sie eine Antwort?

Krüger: Ich glaube - etwas zitterig - schon, dass wir in zehn Jahren noch Bücher machen, aber man wird eben von Seiten der Autoren, von den Agenten gefragt, was tut Ihr eigentlich, um mein Buch im Netz zu verbreiten? Wir müssen auch da Antworten geben. (…) Denn das Interessante ist ja, dass sich die Produktionsbedingungen, die Produktionsmittel und die Plattformen der Distribution zwar radikal ändern, aber was auch täglich zunimmt, ist das Bewusstsein, dass sich Imagination nicht darin erschöpft, dass ich einen Computer anmache und der Welt mitteile, wie es mir heute früh geht. Anders kann ich mir die weltweite Zunahme an ernsthafter Literatur nicht erklären.

Elisabeth Ruge: Das Netz bietet natürlich eine riesige Möglichkeit. Es können dadurch einfach sehr viel mehr Menschen partizipieren, schneller mit Texten auf Ereignisse reagieren, und das persönlicher und dialogischer. Zugegeben: Auf vieles davon könnte die Welt auch verzichten. Aber wenn einige Beschränkungen der physischen Herstellung und Distribution wegfallen, kann gerade das auch Raum schaffen für großartige Texte. (…) Aber durch die Zunahme der schieren Menge von Texten im Netz gibt es auch ein Bedürfnis nach Differenziertheit, nach Strukturierung, nach Wertung, also nach einem Programm, wo die Bücher in einem Verhältnis zueinander stehen. So dass man den Lesern - aber auch den Autoren - das anbietet, was vielleicht das Kostbarste ist, was man als Verlag machen kann: nämlich eine Art Struktur in die Welt der Texte zu bringen.

Im Herbst 2012 erscheint das erste Programm. Wie viele Titel wird es haben?

Krüger: Zehn. Eine schöne Größe. So können wir unser verlegerisches Vorhaben abbilden, sind aber noch klein genug, um konzentriert zu sein.

Eine Hälfte Belletristik, die andere Sachbuch?

Ruge: Genau. Auch hier bildet sich das ganze Spektrum ab: Es gibt Romane, aber auch einen Erzählungsband und einen Lyrikband. Im Sachbuch große Abhandlungen zur Geschichte und Soziologie neben Essays. Und neben großen etablierten Autoren wird es auch Debütanten geben.

Gibt es auch schon ein Büro in Berlin?

Ja, und es befindet sich am für mich besten Ort der Stadt - an der Kreuzung Friedrichstraße/Kochstraße bzw. Rudi-Dutschke-Straße, also am Checkpoint Charlie. Da liegt hinter einem die Topographie des Terrors, vor einem das Springer-Hochhaus und auch das Jüdische Museum, links geht’s zum Gendarmenmarkt und rechts nach Kreuzberg hinein.

Die Idee des in Großbritannien, Amerika und Australien ansässigen Bloomsbury Verlags, zu dem auch der Berlin Verlag gehört, ist es, vor allem solche Bücher zu machen, die überall auf der Welt gehen. Wäre es nicht sinnvoll, dass sich angesichts der Konzerndominanz im Buchmarkt unabhängige Verlage in Europa oder sogar darüber hinaus zu einem Netzwerk zusammenschließen?

Krüger: Das wird sicher kommen, und das wäre auch sinnvoll. Vor zehn, zwölf Jahren haben wir mit einigen europäischen Verlagen so etwas angedacht, aber damals war die Zeit wohl noch nicht reif. Es gibt zwar den sogenannten internationalen Markt, und der funktioniert ja auch immer besser, aber es gibt eben auch große lokale Unterschiede. Nicht jedes in Paris preisgekrönte Buch findet auch hier Leser. Die großen politischen Strukturen in Europa berühren nicht unbedingt den nationalen Geschmack. Gerade im Sachbuch sind die Unterschiede erheblich.

Es ist in den vergangenen Jahren viel über Ihre Nachfolge spekuliert worden, Herr Krüger. Was sagen Sie selbst dazu?

Krüger: Ich habe so viele Jahre Arbeit, so viel Herzblut und so viel Energie in diesen Verlag gesteckt, dass ich natürlich ein Auge darauf haben will, was und wer nach mir kommt. Auch, weil ich die Verträge unterschreibe und unseren Autoren Kontinuität zusichern will. Ich möchte die Synchronisierung der verschiedenen Verlagsaktivitäten noch zu einem Abschluss bringen, so dass alles klappt und funktioniert. Wir müssen die ganzen Fragen des elektronischen Publizierens bis zu einem gewissen Punkt klären und entscheiden, ob wir da eher Avantgarde oder Nachläufer sein wollen. (…)

Ruge: Es ist allen klar, dass wir vor unglaublichen Umwälzungen stehen. Da ist es wichtig, dass es Leute gibt, die das Schiff ruhig und sicher steuern und dadurch für Kontinuität sorgen. Natürlich wünsche ich mir, dass Michel Krüger möglichst lange bleibt. In gewisser Weise ist er ja einer der letzten Repräsentanten einer verlegerischen Tradition.

Krüger: Eins ist sicher: In den nächsten Jahren bleibt kein Stein auf dem anderen. Die Branche erlebt eine Umwälzung, wie sie noch keiner gesehen hat. Da ist es wichtig, dass man Markierungssteine hat. Deshalb glaube ich auch, dass so ein Verlag, so lange es noch geht, in einer Welt, die sich neu mischt und die einen anderen Geist hervorbringen wird, von dem keiner weiß, wie er aussieht, Orientierung bieten muss. Ob sich das dann ökonomisch noch rechnet, weiß keiner.

Wenn Sie eine einzige Veränderung am Buchmarkt bestimmen könnten - welche wäre es?

Krüger: Was wir uns als Buchmacher nur wünschen können, ist, dass der Verlangsamungsprozess beim Schreiben, beim Herstellen eines Buches so lange wie möglich langsam bleibt. Dass es im Mahlstrom etwas Vorbildliches gibt, was nicht auf Knopfdruck, von jetzt auf gleich geht.

Ruge: Was man gern erreichen würde: Ein Gefühl für die Qualität dessen zu erhalten, was langsam entsteht.

Das Gespräch führte Felicitas von Lovenberg.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, faz.net (Auszug) http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/zukunft-der-buchbranche-es-bleibt-kein-stein-auf-dem-anderen-11580780.html vom 26.12.2011, Stand: 29.12.2011

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