Samstag, 15. Oktober 2011

Messegespräche (1). Olivenöl Extra.

Samstag, 15. Oktober, abends.
Die Autorin. Meine kleine Gedichtesammlung. (4)


Jedes Jahr das gleiche Spiel: Eigentlich habe ich keine Lust, mich in dieses Messegetümmel zu stürzen, all die Büchermassen zu sehen, das frustriert mich jedes Mal aufs Neue, weil ich mir vorstelle, wie viele Leser es bräuchte, dass sie alle gekauft, gelesen, gewürdigt würden, und dazu kommt die Furcht, dass ich darin verschwinden könnte mit meinen Werken, dass ich unterginge in diesem gigantischen Bücher-Mehr, das sich speist aus einem endlosen Strom gedruckter Wörter, die neuerdings auch noch in allen möglichen Formen digital verwurstet werden. Allerdings bin ich in dieser Hinsicht hoffnungslos altmodisch: Das wunderbare Gefühl, in einem Buch zu blättern, es zu tasten, zu riechen, kann mir der hippste eReader nicht ersetzen. Das Problem ist: meinen Kindern schon. Bücher lesen ist dem Jungvolk von heute zu anstrengend. Und ich befürchte, das ist erst der Anfang. Meine Enkel werden meine sorgsam aufgebaute, geliebte Bibliothek dereinst womöglich zur Dämmung zwischen den Dachsparren einsetzen. Und ich degeneriere zur dementen Omi, die weiterhin stur mit der Kutsche reist in Zeiten von Flugzeug und ICE.

Sei`s drum. Ich war ja nur sekundär als Leserin auf der Messe, und primär: als gefragte Produzentin von angesagtem Content; auf Altdeutsch: Die erfolgreiche Autorin beehrt sich! Lächelt. Schreibt Fans geduldig die immer gleichen Sprüche in die Bücher, lächelt noch mehr, freut sich über Lob und ehrfurchtsvolle Blicke, über Lesegetreue seit Band eins, über Bücherwürmer, die ihre vergilbten HC-Ausgaben aus der Tüte kramen und mit leuchtenden Augen fragen: "Könnten Sie bitte Für Annika, eine begeisterte Leserin, dazuschreiben? Mit doppel-N, bitte?"

Und für Eva und Alex und Silvia und Cornelia und Susanne … die Star-Autorin macht das natürlich gern, sie fühlt sich gehuldigt, kurz vor der Verleihung des Messestand-Nobelpreises sozusagen. Das geht runter wie ein Löffelchen Natives Olivenöl Extra! Und Kaffee gibt’s, und O-Saft und statt Mittagessen wegen der vielen Termine einen Apfel und wie immer viel zu viel Konferenzgebäck.
Meine Lektorin strahlt, die Reporter schreiben brav auf, was ich sage, und die Fotografen fotografieren mich, vor, ach: diese Bücherwand! Vergessen ist die schlechte Laune ob der Farbkomposition und des einfallslosen Titels! Vergessen, dass ich kein Lila mag und Rosa seit Kindheitstagen hasse; diesem geschätzten zwei auf drei Meter Höhemalbreite-Argument kann man sich nicht entziehen! Die Leute bleiben stehen und staunen, murmeln, schauen zu mir, murmeln wieder, gehen andächtig weiter. Womöglich haben die Marketingfuzzis doch recht, ein bisschen zumindest, sei`s drum: ES IST BEEINDRUCKEND! MEINE Bücher! Annabelle Chanson schwebt durch die Hallen, wird erkannt, grüßt, schüttelt Hände, lächelt, lacht, signiert auf dem Gang, lächelt mehr, macht Smalltalk, VIP für Messe-Gänger, drei Minuten, weiter geht`s.

Geplant zufälliges Vorbeischlendern am Kitty-Stand: Jetzt hüpft das Herz von A. C. Dacon, auch hier erheben sich die richtigen Bücherberge über der anderen Bücherseen: Gleich drei Kitty-Morde werden präsentiert, wenn auch insgesamt zwei Nummern kleiner als bei Annabelle Chanson. A.C. Dacon gönnt es der Kollegin, und das Öl flutscht nur so. Zurück am Stand, Info von der noch immer strahlenden Lektorin: Es sind weitere Lizenzen der Leidenschaften verkauft. Niederlande, Belgien, Japan auch. Und Gespräche mit den USA laufen. MIT DEN USA!!! Eine Mitarbeiterin, seufzend: „Ihr neuer Roman steht auf der Hitliste der geklauten Werke ganz oben.“
Wenn das nicht Flügel verleiht?

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