Smoke on the water …

Annabelle Chanson: Ja?

Lektorin: Ich habe gerade Ihr Exposé für die neue Krimiserie gelesen. Also, das Setting finde ich sehr gelungen. Nur über die Figuren müssten wir noch mal reden.

AC: Warum?

Lektorin: Nun, es soll ja schon ein Gegenentwurf zu den Kitty-Krimis werden.

AC: Ja eben! Statt der toughen jungen gutaussehenden Superermittlerin eine nachdenkliche, ältere berufserfahrene Kriminalistin … Wenn das nicht Gegenentwurf in Reinkultur ist?

Lektorin: Bitte, Anne! Sie sind lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass die Leser bestimmte Erwartungshaltungen haben.

AC: Die da wären?

Lektorin: Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich persönlich finde die Figur der Ermittlerin wirklich originell, aber ich muss doch auch das Ganze im Augen behalten.

AC: Das da wäre die nächste Vertreterkonferenz.

Lektorin: Ich sehe, Sie verstehen. Und es ist ja auch so: Die Vertreter, das sind nun mal die Leute aus der Praxis, diejenigen, die wissen, was die Sortimenter wünschen. Und schließlich wollen Sie doch Ihre Bücher verkaufen. Und ganz ehrlich: Eine schwule Kommissarin, noch dazu eine, die sich schon geoutet hat …

AC: Lesbisch.

Lektorin: Was?

AC: Bei Frauen heißt das lesbisch.

Lektorin: Ja, also, das geht gar nicht. Zumindest nicht als Hauptfigur. Aber wenn Sie so an dieser Idee hängen, ich hätte vielleicht eine Idee.

AC: Die da wäre?

Lektorin: Entweder will sich die Leserin mit der Hauptfigur identifizieren – oder sie sucht in ihr ihren Traumprinzen. Ich sehe vor meinem inneren Auge einen feinsinnigen, kulturellen Dingen aufgeschlossenen Kommissar, gutaussehend, exzellente Manieren, mittleres Alter …

AC: Den hat Donna Leon bereits erfunden, oder?

Lektorin (lacht): Ich war ja noch nicht fertig! Also, dieser Kommissar, der Frauenschwarm des gesamten Kommissariats …

AC: Bei der allgemeinen Frauenquote im Bereich Tötungsdelikte wird`s da nicht viel Geschwärme geben.

Lektorin (leicht ungeduldig): Glauben Sie im Ernst, der Frauenanteil bei der Mordkommission interessiert auch nur eine Leserin? Dieser smarte Kommissar und feingeistige Frauenschwarm hat also ein Geheimnis: Er führt eine scheinbar glückliche Ehe, ist aber tatsächlich homosexuell. Da stecken so viele Konflikte drin, dass es für mindestens ein Dutzend Fälle reicht. Und gleichzeitig wäre ihre Intention, die Problematik der Homosexualität einzubringen …

AC: Meine Intention war es, eine spannende Geschichte zu erzählen, mit einer Frau als Protagonistin, die …

Lektorin: Entschuldigen Sie, wenn ich unterbreche, aber ich war noch nicht zu Ende: Eine Frau als Protagonistin brauchen wir natürlich auch! Sozusagen als Gegengewicht und Ausgleich.

AC: Ausgleich wofür?

Lektorin: Nun, bei der richtigen Ausgestaltung des Kommissars wird sich die Leserin sicherlich ein bisschen in ihn verlieben, sie wird mit ihm mitleiden, mitfiebern, mitfühlen, aber weil sie ja um die Hintergründe weiß, ist ihr gleichzeitig klar, dass er für sie unerreichbar ist. Also ist der Prinz nicht wirklich vorhanden, und deshalb braucht sie zusätzlich eine Heldin, mit der sie sich identifizieren kann. Und diese Heldin darf durchaus Macken haben oder schräg drauf sein, auf keinen Fall aber in wesentlichen Punkten „anders“ ticken als die Leserin.

AC: Ich wollte einen Roman schreiben, keinen Wie-finde-ich-den-Traumprinzen-Ratgeber.

Lektorin: Ich bin sicher, mit dieser Figurenkonstellation sind wir auf der sicheren Seite. Und wenn Sie vielleicht noch ein wenig Humor einbauen könnten – das wäre sozusagen das Sahnehäubchen.

AC (sarkastisch): Dann sollte ich die Geschichte vielleicht besser von der Rhön in den Odenwald verlegen. Da ist es nicht so kalt. Wärme befördert ja bekanntlich die gute Laune.

Lektorin (lacht)

AC: Ich fasse zusammen: Ein feingeistig schwuler Kommissar und eine toughe Superkommissarin mit winzigen Macken klären humorvoll grauenhafte Morde in einem sonnenbeschienenen Provinzkaff im Odenwald auf.

Lektorin (lacht): So ungefähr. Kann ich noch diese Woche mit dem neuen Exposé rechnen?

AC: Aber sicher doch! Und die ersten Kapitel am Samstag auf der Messe.

Lektorin: Hervorragend! Wie ich schon sagte: Ich bin überzeugt, mit der Story sind wir auf der richtigen Spur.