Montag, 21. November 2011

Der pensionierte Lektor.

Dienstag, 1. November 2011, abends.
Bei Willi vor der Ecke. Kneipengespräche (3)


Ad (sitzt am Stammtisch und nuckelt am Bier.)

Der Verleger (kommt rein, stürmt zum Tisch, wirft Ad die Zeitung vom Montag hin): Was soll das?

Ad (grinst): Willste dich nicht erst mal setzen und ein Bier bestellen, Kumpel?

Verleger: Mir ist die Lust auf Bier vergangen!

Ad: Jetzt sag bloß, dir gefällt mein Marketingkonzept nicht?

Verleger (deutet auf die Zeitung): In meinem Verlag gibt es keine Bücher, also brauche ich auch keinen Lektor! Und schon gar nicht brauche ich einen Aufruf in der Presse, der dazu führen wird, dass ich unter unveröffentlichten Manuskripten begraben werde!

Ad: Also, ich weiß nicht, was du hast, ehrlich! Gründest einen Verlag, und regst dich auf, wenn`s gut läuft.

Verleger: Das war ein Joke, verdammt noch mal! Ich habe keine Lust, die Hälfte meines Gehalts für Portokosten auszugeben und meine Feierabende damit zu verbringen, Manuskripte meiner heimlich seit Kindheitstagen schriftstellernden alleinstehenden Nachbarin entgegenzunehmen.

Ad: Wenn sie gut aussieht – warum denn nicht?

Verleger: Tut sie nicht.

Ad (ruft in Richtung Tresen): Willi, mach mal zwei Pils – geht auf meine Rechnung heute!

Verleger (setzt sich): Also, jetzt im Klartext: Ich will, dass das sofort aufhört!

Ad: Was?

Verleger (haut auf die Zeitung): DAS!

Ad (verschnupft): Also, Kumpel, mal ehrlich: Wo ist das Problem? Du wirst berühmt, und es kostet dich keinen Pfennig!

Verleger: Cent.

Ad: Meinetwegen. Und wenn du die Manuskriptpäckchen immer noch meinst selbst bearbeiten zu müssen, dann kann ich dir nicht helfen. Ich hab dir gesagt, ich kümmere mich drum, und das mach ich auch!

Verleger: Ach? Und woher kommt die Kohle?

Ad (strafft die Schultern und doziert): Die Bearbeitung der Manuskripteinsendungen erfolgt kostenneutral. Die Einsender werden – übrigens auch in dem Artikel – darauf hingewiesen, dass Rücksendungen nur erfolgen können, wenn ausreichend Rückporto beiliegt. Auch auf der Website habe ich einen entsprechenden Hinweis aufgenommen.

Verleger: WELCHE WEBSITE?

Ad: Ein Verlag ohne Internetauftritt, das geht ja mal nun gar nicht. Und wenn man ein bisschen Werbung akzeptiert, kann man sogar ein paar Penunzen Plus machen.

Verleger: Ich glaub`s nicht.

Ad: Gut, gell?

Verleger (wütend): Wer ist dieser Lektor?

Ad: Na ja, so ein bisschen auslegende Kreativität muss man sich schon erlauben, wenn man einen kompletten Verlag in Personalunion führt.

Verleger: Was soll das bitte heißen?

Ad (grinst): Das Bier kommt.

Verleger (nimmt das Bier und trinkt es halb leer. Er deutet wieder auf die Zeitung.) Warum hast du nicht gleich meinen Beruf, Geburtstag, Ehestand, Telefonnummer und die Wohnanschrift mit reingeschrieben?

Ad (verdutzt): Ich dachte, du wolltest nicht so offen auftreten?

Verleger: Herrgott noch mal! Jeder, der mich kennt, weiß wer gemeint ist!

Ad: Aber wer dich nicht kennt, weiß es nicht. Und so bleibt dein Briefkasten verschont, und die Leute haben was zu rätseln. Das macht es interessant. Und was die Direktpost deiner Nachbarschaft angeht: Nur her mit dem Krams.

Verleger: Und du willst mir erzählen, dass dieser Lektor nichts anderes in seinem Ruhestand zu tun hat, als aus lauter Lust und Liebe Hunderte von Manuskripten zu sichten und …

Ad (zerknirscht): Na ja, ganz umsonst war`s nicht.

Verleger: Was verlangt der Kerl?

Ad: Die Auslagen liegen unter 30 Euro, ich schwör`s. Ich finde, das ist ein guter Schnitt für das, was wir dafür kriegen.

Verleger: 30 Euro wofür?

Ad (zuckt die Schultern): Einmal Herrenschnitt Sonderangebot, einmal Eintritt ins Hallenbad zwecks Duschen und einen Frei-Einkauf bei Aldi. Ich vermute, Spirituosenabteilung.

Verleger: Häh?

Ad: Dafür macht uns Hubertchen garantiert null Probleme. Und Zeitung liest der auch nicht.

Verleger: Ich versteh nur Bahnhof.

Ad: Ist auch besser so.

Keine Kommentare: