Der Verleger. Tagebucheintrag. (26)
Gestern Abend kam tatsächlich die liebe Frau Friedemüller vorbei und brachte mir einen Teller mit selbstgebackenem Käsekuchen! Ich bat sie herein, und sie lobte meinen vorzüglichen Kaffee (bin ich auch wirklich stolz drauf, dass ich mich trotz Singledaseins jeglicher Automatisierung standhaft verweigere und nach wie vor per Hand aufbrühe!), und ich lobte ihren vorzüglichen Käsekuchen, und es war uns völlig egal, dass man um diese Uhrzeit eigentlich eher Tee trank und Wurstbrote aß.
Seitdem ich ihre Geschichte gelesen habe, sehe ich sie mit anderen Augen, und sie überlegt vermutlich bei jeder Begegnung, ob es tatsächlich das Lektorat war, das ihr die Absage ins Haus schickte. Es gelang mir, das Thema zu umschiffen, und so hatten wir ein ganz nettes Gespräch. Mitten drin ein Anruf von Corpy. Woher hatte die meine Telefonnummer? Ob ich Lust auf eine Lesung hätte? Ein junger, vielversprechender Autor. Morgen in einer Woche in einer kleinen Buchhandlung drüben in Offenbach. Ich zögerte, fragte, ob ich einen Freund mitbringen könnte? Buchhändler und absolut lesebegeistert. Ihr Ja klang nicht wirklich froh, aber sie werde sich erkundigen, ob es noch Karten gebe. Selbstverständlich würde ich lieber allein gehen! Und anschließend mit ihr irgendwo einen Wein trinken. Und wenn ich ehrlich bin, nicht irgendwo, sondern bei ihr zu Hause. In der Hoffnung, dass das Gleiche geschähe wie beim letzten Mal. Und dass ich nicht wieder feige davonrennen würde. Nein! Ich war vernünftig und würde mit Berti gehen. Oder gar nicht. Weil ich es ganz sicher kein zweites Mal schaffte, rechtzeitig die Kurve zu kriegen.
Später rief sie noch mal an. Leider habe sie keine Karte mehr bekommen. Aber sie würde sich sehr freuen, wenn ich trotzdem käme. Mit Betonung auf SEHR und TROTZDEM. Ich kam mir plötzlich so was von albern vor. Meine Güte! Warum sollte ich mir nicht einen netten Abend mit einer sympathischen und noch dazu überaus gescheiten Frau gönnen, die es erkennbar darauf anlegte, mir zu zeigen, dass sie mehr als langweilige Powerpointpräsentationen zu bieten hatte? Zwei erwachsene, ungebundene Menschen, die einen anregenden Abend und eine aufregende Nacht miteinander verbringen würden, was war schon dabei? Um wie viel Uhr und wo genau, fragte ich. Sie sagte es und klang glücklich. Weil sie den Fisch endlich an der Angel hatte? Einen mehr auf der Liste? Das tat weh. Ich stellte eine Frage, die so daneben war, dass ich mich dafür immer noch schäme: Verraten Sie mir, was ich für Sie bin - das Dessert von Frankfurt oder der Aperitif für Berlin? Sie sagte nichts. Und dann: Ich halte Sie für intelligent genug, die Antwort selbst herauszufinden.
Der Klugscheißer in mir sagt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass aus der Sache mehr als ein One-Night-Stand werden könnte, ungefähr so hoch liegt wie die, dass im Thoni-Verlag demnächst ein Bestseller verlegt wird. Auch wenn meine Ex mir anderes unterstellt hat: Ich hasse One-Night-Stands, und ich bin stolz darauf, dass ich den Gefühlsdeppen in mir nach der suboptimalen Scheidung erfolgreich wegsperren konnte. Und jetzt grinst der mich an als wäre er Ads Zwillingsbruder und feixt: Du kannst machen was du willst, Junge. Du wirst hingehen! Und der Klugscheißer doziert: Sicher wird er gehen. Schließlich handelt es sich um Literatur!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen