Was, so wäre längst zu fragen, ist eigentlich mit Werner? Warum ist er an Silvester nicht gekommen? Warum kümmert sich der VERLEGER nicht um seinen Freund, über dessen Wiederauftauchen er sich doch vorgeblich so sehr gefreut hatte? Nicht nur dieser Faden hängt hier widerlich unverknüpft in der Luft! Die ganze Geschichte stinkt zum Himmel, und man ist versucht, nach den Gründen zu fahnden. Der Gedanke ist absurd, aber man muss ihn angesichts der Faktenleere dann doch mal langsam denken: Womöglich führt der Verleger ein unbekanntes offline-Leben? Und schreibt gar nicht alles in sein Tagebuch? Und die Autorin denkt Dinge, die sie nicht veröffentlicht? Und Lisa liest Bücher, ohne sie zwischendrin oder hinternach via amazon zu zerpflücken? In Zeiten crossmedialer Dateninkontinenz ist das nun wirklich die größtmöglich anzunehmende Unverschämtheit! Wenn die nicht an die Öffentlichkeit wollen, diese Gestern-Figuren, muss man eben ein bisschen nachhelfen. Wo kämen wir hin, wenn jeder selbst entschiede, wann er aufhört, sich zu vermedialisieren und nach Lust und Laune einfach banalste Daten seines Lebens offline lässt? Die Chronik wäre unvollständig! Der Börsengang von Facebook womöglich ernsthaft gefährdet?
Wobei hier ohnehin ein Plagiat zu prüfen wäre: WER, bitteschön, hat denn die Chronistierung erfunden? Andererseits: Wenn ab kommendem Monat jeder hergelaufene User via Fratzenbuch seine eigene Chronik bekommt, kann der Chronist auch einpacken. Der ist sowieso vom letzten Jahrhundert und kriegt seine Quellen nicht in den Griff. Und glaubt an die Geschichte von der Wirklichkeit, die man finden und sortieren kann, wie man als Kind nicht mal an den Osterhasen geglaubt hat. Was gedacht wird, ist nicht wahr. Was gesprochen wird, verändert sich, verfliegt. Was geschrieben steht, rutscht unweigerlich nach unten, geht unter im Strom des Vergessens. Und taucht womöglich wieder auf, wenn man es gerade gar nicht gebrauchen kann.
Wer ist schuld an den Dingen, wie sie sind? Die Chronisten, die Fakten für Wahrheit halten und doch nur Geschichten erzählen. Und die Poeten, die längst aufgehört haben zu tun, was ihrer würdig wäre: wortgewaltig wirkliche Geschichten zu erzählen.
gez. E.
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