Der Vorteil virtueller Wirklichkeit ist,
dass sie nicht wirklich verschwindet. Hier also der leergefutterte Häppchenteller,
gesammelt und rübergereicht von einem wackeligen Stehtisch aus dem Facebook
account des Verlags ohne Bücher. Die Party musste leider am 30. September
enden, weil ab Oktober das wahre Leben zuschlagen wird. Aber erst mal was für
den Magen:
Häppchen. (1)
Diese
Geschichte ist ein Kind ihrer Zeit. Sie konnte so nur im Netz erzählt werden,
und zugegebenermaßen hätte sie auch ganz anders ausgehen können. Weil sie im
Netz erzählt wurde, hat der Erzähler die Macht über sie verloren. Er mag sie
beenden, aber sie wird niemals ganz sicher zu Ende sein, sie wird sich
womöglich verändern, Teile werden verloren gehen, Links nicht mehr
funktionieren. Meinungen werden dazukommen, Kommentare. Vielleicht.
Häppchen. (2)
Vielleicht
auch nicht, weil die Netzgemeinde sich Rons Meinung anschließt, dass diese
Geschichte ganz und gar banal ist und weder ein Verlinken verdient noch das Liken lohnt. Vielleicht verdient sie es
tatsächlich nicht, denn sie ist ein Konstrukt, um die Hilflosigkeit darüber
auszudrücken, dass Dinge wie zu allen Zeiten auch in der unsrigen im Fluss
sind.
Häppchen. (3)
Hier und da
wird Werbung das Lesen in Zukunft nicht
nur erschweren, sondern konterkarieren. Weil das Lesen ja gratis und deshalb
immer öfter auch umsonst sein wird. Es hat im wahrsten Sinne des Wortes keinen
Wert mehr.
Häppchen. (4)
Wenn die
Verantwortlichen bei Google und Facebook wieder mal meinen, das Layout oder die
Bedingungen der Teilnahme ändern zu müssen, wird das Erzählte einmal mehr in
fremdbestimmtem Gewande erscheinen. Oder gar nicht mehr. Vielleicht wird der
unerschütterliche Henning Hundekötter daraus irgendwann in seinem Lebenswerk
zitieren, ohne die Quelle zu nennen, weil das ja auch peinlich werden könnte.
Vielleicht wird Tante Erna ein schlechtes eBook bei amazon daraus machen, und
wenn es der Erzähler nicht mitkriegt, dann wird nichts geschehen, außer, dass
sich Mutti im Seniorenheim auf ihrem Reader in XXL noch köstlicher amüsiert.
Wer wollte Mutti das verübeln?
Häppchen. (5)
Die
Geschichte des Thoni-Verlags hat der Erzähler nicht allein erfunden, die
Gentlemen Copy und Paste haben es ihm leicht gemacht, fremde Gedanken nicht neu
zu denken, sondern sie einfach an passender Stelle zwischen seine eigenen
Gedanken einzupflanzen. Zur Gewissensberuhigung hat er die Fundstelle dazu
gesetzt, und gut. Womöglich wird irgendwer irgendwann es nicht so genau nehmen
und die Quellenangaben weglassen, und kein Mensch wird mehr nachvollziehen
können, wer was von dieser Geschichte tatsächlich einst erfunden hat, was wahr
ist, was erdacht, warum sie erzählt wurde, und warum sie auf diese Art erzählt
wurde. Das Erzählte wird herrenlos werden. Oder vergessen. Bis es vielleicht
dann doch irgendwann jemand wiederentdeckt und in einer Weise dokumentiert, so
wie man heutzutage die Klassiker orthografisch anpasst und neu editiert.
Häppchen. (6)
Vielleicht
wird diese Geschichte eines Tages aber auch in einem Format erzählt werden, von
dem der Erzähler noch nichts ahnt. Aber halt: hatten wir das alles nicht schon
einmal? Die Erfindung eines neuen Mediums, das Gesagtes zu konservieren wusste,
damit es erhalten blieb für die Nachgeborenen?
Häppchen. (7)
Einst war es
die Schrift, waren es Bilder und Bücher, die dieses Wunder vollbrachten:
Flüchtiges durch die Zeiten zu bewahren und es gleichzeitig so lebendig zu
halten, dass wir heute noch die Weisheit eines Platon verstehen, Shakespeares
Dramen nachfühlen, die Poesie und Wortkunst von Goethe und Schiller
wertschätzen, über Wilhelm Buschs liebevoll skizzierte Alltagsbosheiten
schmunzeln können.
Häppchen. (8)
Wir wollten
modern sein, dabei haben wir nichts anderes getan, als uns wieder ums
Lagerfeuer zu versammeln. Nur dass das moderne Lagerfeuer einen Stecker hat.
Und der Erzähler eine Tastatur. Der Unterschied zur Steinzeit ist: Die Hörer
haben auch eine. Jeder eine eigene, ganz für sich. Und weil niemand den anderen
sieht, reden sie alle drauflos, die einen hören auf, Erzähler zu sein, weil sie
ins Nichts reden, die anderen hören auf Hörer zu sein und werden selbst zu
Erzählern. Sie unterbrechen, sie belehren, beleidigen, dozieren. Jeder plappert
ungefragt hinein in die Geschichten der anderen, sagt ihnen, was er für richtig
und für wichtig hält, ohne den Verlauf oder gar das Ende zu kennen oder
überhaupt auch nur kennen zu wollen.
Häppchen. (9)
Geschichten leben
durch ihre Hörer und Leser. Wir sind alle zu hektischen Erzählern unseres
Selbst geworden, wir sind nicht still, wir schreien, um endlich gehört zu
werden. Was entsteht, sind keine Geschichten sondern Bruchstücke, Fetzen. Am
Lagerfeuer wären wir aufgestanden und gegangen. Geschichten, die keiner hören
mag, bleiben laute Gedanken, die lautlos verwehen.
Häppchen. (10)
Erzähler
erweisen Hörern und Lesern Respekt, indem sie gute Geschichten erzählen. Hörer und Leser erweisen Erzählern Respekt, indem sie gute Geschichten schätzen.
Häppchen. (11)
Wir sind
nicht fortgeschritten, wir sind zurückgegangen. Der Zauber erzählter
Geschichten verpufft, weil jeder allein vor seinem virtuellen Lagerfeuer sitzt
und sein eigenes Süppchen kocht. Vielleicht soll es so sein. Vielleicht ist es
der unvermeidliche Gang der Dinge. Vielleicht ist es das, was die Netzgemeinde
will? Dass das Erzählen endlich aufhört.
Häppchen. (12)
Wenn, wie es
ja vorkommt, die Mehrheit nicht die Lauten, sondern die Stillen sind, wenn sie den
Zauber des Erzählens bewahren wollen: Dann dürfen sie das Feld nicht den
Schreiern überlassen.
Häppchen. (13)
Nur die
Stillen können die gemeinsame Feuerstelle wieder (er)finden. Um sich in der
Kunst zu üben, wirkliche Geschichte zu erzählen. Um sich darin zu üben,
wirklich zuzuhören. Die Rollen können wechseln, aber nicht beliebig werden,
denn Geschichtenerzählen ist Profession, die erfordert, was alle Berufe
erfordern: handwerkliches Können, Erfahrung, Reifung, Leidenschaft.
Häppchen. (14)
Häppchen. (14)
Um gute Geschichten
zu erzählen, braucht es aber nicht nur Handwerk, Fantasie und Talent, sondern
vor allem Zeit. Sie zu haben, ist Luxus heutzutage. Lesen und Zuhören auch.
Gönnen wir uns diesen Luxus. Er kostet nichts und ist auf keinen Fall umsonst.
Vorletztes Häppchen. (15)
Wenn die
Menschen aufhören, Geschichten als Wegwerfware, Fastfood oder Schnäppchen zu
produzieren und zu konsumieren, wird es keine Rolle spielen, ob sie auf Papier
gedruckt oder elektronisch daherkommen.
Letztes Häppchen. (16)
Das Buch der
Moderne kann womöglich ohne Papier auskommen. Ohne Erzähler nicht.
Die Party ist aus.
Hoffen wir, dass die Gäste nicht alles verschlafen.Und ohne Kater aufwachen.
Was überhaupt gefeiert wurde?
Dass der Erzähler eine Erfinderin ist.Die Gründung des Thoni Verlags.
Anno 2012.
Willkommen im Leben.
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