Sonntag, 30. September 2012

Die Facebook-Party.


Der Vorteil virtueller Wirklichkeit ist, dass sie nicht wirklich verschwindet. Hier also der leergefutterte Häppchenteller, gesammelt und rübergereicht von einem wackeligen Stehtisch aus dem Facebook account des Verlags ohne Bücher. Die Party musste leider am 30. September enden, weil ab Oktober das wahre Leben zuschlagen wird. Aber erst mal was für den Magen:
 

Häppchen. (1)
Diese Geschichte ist ein Kind ihrer Zeit. Sie konnte so nur im Netz erzählt werden, und zugegebenermaßen hätte sie auch ganz anders ausgehen können. Weil sie im Netz erzählt wurde, hat der Erzähler die Macht über sie verloren. Er mag sie beenden, aber sie wird niemals ganz sicher zu Ende sein, sie wird sich womöglich verändern, Teile werden verloren gehen, Links nicht mehr funktionieren. Meinungen werden dazukommen, Kommentare. Vielleicht.
 
Häppchen. (2)
Vielleicht auch nicht, weil die Netzgemeinde sich Rons Meinung anschließt, dass diese Geschichte ganz und gar banal ist und weder ein Verlinken verdient noch das Liken lohnt. Vielleicht verdient sie es tatsächlich nicht, denn sie ist ein Konstrukt, um die Hilflosigkeit darüber auszudrücken, dass Dinge wie zu allen Zeiten auch in der unsrigen im Fluss sind.

Häppchen. (3)
Hier und da wird  Werbung das Lesen in Zukunft nicht nur erschweren, sondern konterkarieren. Weil das Lesen ja gratis und deshalb immer öfter auch umsonst sein wird. Es hat im wahrsten Sinne des Wortes keinen Wert mehr.

Häppchen. (4)
Wenn die Verantwortlichen bei Google und Facebook wieder mal meinen, das Layout oder die Bedingungen der Teilnahme ändern zu müssen, wird das Erzählte einmal mehr in fremdbestimmtem Gewande erscheinen. Oder gar nicht mehr. Vielleicht wird der unerschütterliche Henning Hundekötter daraus irgendwann in seinem Lebenswerk zitieren, ohne die Quelle zu nennen, weil das ja auch peinlich werden könnte. Vielleicht wird Tante Erna ein schlechtes eBook bei amazon daraus machen, und wenn es der Erzähler nicht mitkriegt, dann wird nichts geschehen, außer, dass sich Mutti im Seniorenheim auf ihrem Reader in XXL noch köstlicher amüsiert. Wer wollte Mutti das verübeln?

Häppchen. (5)
Die Geschichte des Thoni-Verlags hat der Erzähler nicht allein erfunden, die Gentlemen Copy und Paste haben es ihm leicht gemacht, fremde Gedanken nicht neu zu denken, sondern sie einfach an passender Stelle zwischen seine eigenen Gedanken einzupflanzen. Zur Gewissensberuhigung hat er die Fundstelle dazu gesetzt, und gut. Womöglich wird irgendwer irgendwann es nicht so genau nehmen und die Quellenangaben weglassen, und kein Mensch wird mehr nachvollziehen können, wer was von dieser Geschichte tatsächlich einst erfunden hat, was wahr ist, was erdacht, warum sie erzählt wurde, und warum sie auf diese Art erzählt wurde. Das Erzählte wird herrenlos werden. Oder vergessen. Bis es vielleicht dann doch irgendwann jemand wiederentdeckt und in einer Weise dokumentiert, so wie man heutzutage die Klassiker orthografisch anpasst und neu editiert.

Häppchen. (6)
Vielleicht wird diese Geschichte eines Tages aber auch in einem Format erzählt werden, von dem der Erzähler noch nichts ahnt. Aber halt: hatten wir das alles nicht schon einmal? Die Erfindung eines neuen Mediums, das Gesagtes zu konservieren wusste, damit es erhalten blieb für die Nachgeborenen?

Häppchen. (7)
Einst war es die Schrift, waren es Bilder und Bücher, die dieses Wunder vollbrachten: Flüchtiges durch die Zeiten zu bewahren und es gleichzeitig so lebendig zu halten, dass wir heute noch die Weisheit eines Platon verstehen, Shakespeares Dramen nachfühlen, die Poesie und Wortkunst von Goethe und Schiller wertschätzen, über Wilhelm Buschs liebevoll skizzierte Alltagsbosheiten schmunzeln können.

Häppchen. (8)
Wir wollten modern sein, dabei haben wir nichts anderes getan, als uns wieder ums Lagerfeuer zu versammeln. Nur dass das moderne Lagerfeuer einen Stecker hat. Und der Erzähler eine Tastatur. Der Unterschied zur Steinzeit ist: Die Hörer haben auch eine. Jeder eine eigene, ganz für sich. Und weil niemand den anderen sieht, reden sie alle drauflos, die einen hören auf, Erzähler zu sein, weil sie ins Nichts reden, die anderen hören auf Hörer zu sein und werden selbst zu Erzählern. Sie unterbrechen, sie belehren, beleidigen, dozieren. Jeder plappert ungefragt hinein in die Geschichten der anderen, sagt ihnen, was er für richtig und für wichtig hält, ohne den Verlauf oder gar das Ende zu kennen oder überhaupt auch nur kennen zu wollen.

Häppchen. (9)
Geschichten leben durch ihre Hörer und Leser. Wir sind alle zu hektischen Erzählern unseres Selbst geworden, wir sind nicht still, wir schreien, um endlich gehört zu werden. Was entsteht, sind keine Geschichten sondern Bruchstücke, Fetzen. Am Lagerfeuer wären wir aufgestanden und gegangen. Geschichten, die keiner hören mag, bleiben laute Gedanken, die lautlos verwehen.

Häppchen. (10)
Erzähler erweisen Hörern und Lesern Respekt, indem sie gute Geschichten erzählen.
Hörer und Leser erweisen Erzählern Respekt, indem sie gute Geschichten schätzen.

Häppchen. (11)
Wir sind nicht fortgeschritten, wir sind zurückgegangen. Der Zauber erzählter Geschichten verpufft, weil jeder allein vor seinem virtuellen Lagerfeuer sitzt und sein eigenes Süppchen kocht. Vielleicht soll es so sein. Vielleicht ist es der unvermeidliche Gang der Dinge. Vielleicht ist es das, was die Netzgemeinde will? Dass das Erzählen endlich aufhört.  

Häppchen. (12)
Wenn, wie es ja vorkommt, die Mehrheit nicht die Lauten, sondern die Stillen sind, wenn sie den Zauber des Erzählens bewahren wollen: Dann dürfen sie das Feld nicht den Schreiern überlassen.

Häppchen. (13)
Nur die Stillen können die gemeinsame Feuerstelle wieder (er)finden. Um sich in der Kunst zu üben, wirkliche Geschichte zu erzählen. Um sich darin zu üben, wirklich zuzuhören. Die Rollen können wechseln, aber nicht beliebig werden, denn Geschichtenerzählen ist Profession, die erfordert, was alle Berufe erfordern: handwerkliches Können, Erfahrung, Reifung, Leidenschaft.

Häppchen. (14)
Um gute Geschichten zu erzählen, braucht es aber nicht nur Handwerk, Fantasie und Talent, sondern vor allem Zeit. Sie zu haben, ist Luxus heutzutage. Lesen und Zuhören auch. Gönnen wir uns diesen Luxus. Er kostet nichts und ist auf keinen Fall umsonst. 

Vorletztes Häppchen. (15)
Wenn die Menschen aufhören, Geschichten als Wegwerfware, Fastfood oder Schnäppchen zu produzieren und zu konsumieren, wird es keine Rolle spielen, ob sie auf Papier gedruckt oder elektronisch daherkommen. 

Letztes Häppchen. (16)
Das Buch der Moderne kann womöglich ohne Papier auskommen. Ohne Erzähler nicht.

  
 

Die Party ist aus.
Hoffen wir, dass die Gäste nicht alles verschlafen.
Und ohne Kater aufwachen.
 
Was überhaupt gefeiert wurde?
Dass der Erzähler eine Erfinderin ist.
Die Gründung des Thoni Verlags.
Anno 2012.

Willkommen im Leben.

Keine Kommentare: