Freitag, 28. September 2012

Die Erfinderin. Das Interview. TEIL 2

Vom Luxus, Nein zu sagen.

E: Ich war nie so abgehoben zu glauben, dass das, was ich aus Autorensicht denke und fühle, in allen Stufen des Büchermachens und -verkaufens relevant ist. Analysiert man, wie sich welche Bücher auf dem Markt entwickeln, führt das zu der ernüchternden Feststellung, dass Vieles von dem, was Verlage heutzutage tun oder von ihren Autoren fordern, offenbar seine Berechtigung hat. Es ist eine Mär, dass Marketing allein auf Dauer Erfolg bringt. Wenn das Produkt nicht stimmt, ist es eine Eintagsfliege, gut für eine Saison. Mehr nicht. Nehmen Sie zum Beispiel die (fiktive) "Kitty-Reihe". Wenn es nicht eine große Anzahl an Lesern gäbe, die genau diese Art von Geschichten lesen wollten, wäre Kitty spätestens nach der Leiche auf dem Dachboden in Pension gegangen.

R: Aber Sie haben doch auch eine große Zahl an Lesern?

E: Ja. Allerdings habe ich es nie geschafft, einen wirklichen Bestseller zu schreiben, also ein Buch, das innerhalb kürzester Zeit so viele Leser gewinnt, dass es auf die einschlägigen Listen kommt. Meine Romane sind Longseller, sie verkaufen sich sozusagen häppchenweise. Das Ausrichten einer finalen Häppchen-Party auf Facebook hat also durchaus eine Bedeutung...

R: Jetzt aber mal Tacheles: Sie haben Freude am Schreiben, das Thema ist o.k., genügend Leser sind auch da. Wo ist der Haken?

E: Ich leiste mir einen unglaublichen Luxus in der heutigen Zeit: Zeit. Und setze noch einen größeren Luxus frech obendrauf: die Freiheit, Nein zu sagen. Das habe ich übrigens mit Derry gemein. Und wie er falle ich ökonomisch nicht allzu tief, weil ich mit Schreiben - anders als Annabelle Chanson - nicht meinen Lebensunterhalt bestreiten muss. Mein Modell taugt demzufolge nicht besonders zur Nachahmung.

R: Sie wollen also keine Romane mehr schreiben?

E: Doch. Auch wieder in dem Genre, in dem ich zuletzt tätig war. Ich habe aber gemerkt, dass meine Muse äußerst verschnupft reagiert, wenn sie der Meinung ist, dass sie nicht mehr die volle Souveränität hat.

R: Sind Sie Ihrem Verlag gram?

E (lacht): Ach woher! Ich war es doch, die das Handtuch geworfen hat. Trotzdem: eine Vertragsauflösung ist keine lustige Angelegenheit. Ich glaube, man hat bis heute nicht verstanden, was meine Intention war. Nun ja, ich gebe zu: Es war vorstellbar, dass die Autorin die Freiheit bloß vorschiebt, um für noch mehr Kohle zur Konkurrenz zu gehen. Was mir absolut fernlag. Im Übrigen erscheint meine Backlist weiterhin in diesem Verlag, und darüber freue ich mich. Das Problem ist, vor allem in den großen Publikumsverlagen, dass Sie sehr schnell auf ein bestimmtes Genre festgelegt werden, vor allem, wenn Sie darin erfolgreich sind. Es gibt Autoren, die kein Problem damit haben, nach Schema F zu schreiben. Ich gehöre nicht dazu. Ich habe von jeher querbeet gelesen und auch querbeet geschrieben. Ich mag Michael Endes Momo ebenso wie die Souveräne Leserin. Dieses Werk hat mich übrigens genauso fasziniert wie Berti. Ein sorgsam editiertes, wunderschön gemachtes Buch mit einer ungewöhnlichen Geschichte, die pure Lesefreude bringt. Intelligent und inspirierend. Humorvoll und überraschend. Da geht das Leserherz auf. Davon träumt man als Autor, der mit Anspruch unterhalten will.

R: Sie haben immer noch nicht schlüssig die Frage beantwortet, warum Sie den Thoni-Verlag gegründet haben.

E (grinst): Das war ja auch der VERLEGER. Spaß beiseite: Die Initialzündung war die Absage eines kleinen, aber feinen Verlags zu meinem neuesten Roman Ende August 2011.

R: Ach? Sie haben also doch wieder einen Roman geschrieben?

E: Ja, aber etwas ganz anderes als vorher. Ich habe fast zwei Jahre dafür gebraucht. Ich habe das Manuskript rund zwei Dutzend Mal drucken lassen und an diverse Leute zum Probelesen geschickt. Die Resonanz war sehr ermutigend. Was danach kam, weniger.

R: Es tut uns leid, aber Ihr Werk passt nicht ins Verlagsprogramm.

E: Ja. In die Ablage gelegt zu den Hundekötters dieser Welt. Mit dem Unterschied, dass ich davon ausgegangen war, nach einem guten Dutzend Jahre als professionelle Autorin hätte ich die Hundekötter-Phase endgültig hinter mir.

R: Das war sicher bitter.

E: Und ganz schlecht fürs Ego (lacht). Mein Mann hat mich wieder aufgebaut. Er sagte: Das ist eben der Preis für deine Freiheit. Du wolltest das so, und da musst du jetzt durch.

R: Ihr Mann hat Ihnen keine Vorwürfe gemacht? Immerhin haben Sie ja doch die Haushaltskasse erheblich geschädigt, sozusagen?

E: Mein Mann ist ein Glücksfall. Der liebt mich, egal was ich anstelle (lacht). Tja, und dann saß ich vor meinem Computer und überlegte, ob es nach einem geschätzten Dutzend Absagen Sinn hat, durch weitere Anfragen ein weiteres Dutzend an Frustrationspost zu initiieren. Mein Kopf sagte: Das ist nun mal der Weg. Mein Bauch widersprach. Was wäre wenn ... ich das Ding selbst mache? Da ich ein selbstkritischer Mensch bin, fällt es mir schwer, eine Sache nur aus einem Blickwinkel zu sehen. Eigentlich geht es ja bloß um ein Geschäft, das nicht zustande kommt, weil unterschiedliche Interessen nicht zusammenpassen. Tja, und dann gingen die Gäule mit mir durch.

R: Und DAS ENSEMBLE erschien auf der Bühne.

E: Exakt. Ich habe während der vergangenen Jahre genügend erlebt, um auch die Position der anderen Seite nachvollziehen zu können. Im Übrigen gehört das Hineindenken in andere Menschen zu meiner hauptberuflichen Beschäftigung.

R: Die da wäre?

E: Kennen Sie Schulz von Thuns "inneres Team"? Ich habe mir mein "Team Schriftstellerin" näher angeschaut und versucht herauszufinden, welches Stück sie gerade aufführen.

R: Das ist keine Antwort auf meine Frage.

E: Das wussten Sie vorher, oder?

R: Sie haben sich also eine anonyme Mailadresse zugelegt, auf blog.de und blogspot.com unter dem Label "Thoni-Verlag" Fantasie-Blogs und bei Facebook einen Account auf Derry Verleger samt zugehöriger Verlagsseite eingerichtet ...

E: Derry war eine Notlösung. "Der" als Vorname für Verleger hat Facebook nicht akzeptiert. Facebook war übrigens ein Abenteuer! Ich bin regelmäßig im Netz unterwegs, bloggen und "facebooken" ist mir nicht fremd, aber ich hatte das bis dahin immer unter meinem realen Namen getan und Derry musste höllisch aufpassen, dass er nichts durcheinanderwarf oder ausplauderte. Es ist ein Problem, wenn man sich virtuell und real für die gleichen Dinge interessiert.

R: Das heißt, Sie sind auf Facebook mit sich selbst befreundet?

E: Ich wurde mir mehrfach als Freund vorgeschlagen, ja. Allerdings habe ich generös verzichtet. Und eine Anfrage von mir hätte ich natürlich nicht beantwortet (grinst). Ich habe bei null angefangen, auch keine Kontakte aus meinem realen Account genutzt. Natürlich lässt es sich nicht vermeiden, dass sich auch Bekannte einreihen in die Freundesliste, aber von mir aus habe ich alles getan, um das zu vermeiden. Ich hätte es irgendwie unmoralisch gefunden. Apropos Freunde: Ich habe als reale Person kein Interesse daran, Freunde-Hopping zu betreiben. Demzufolge hat es sehr lange gedauert, bis ich eine sogenannte Freundesliste hatte. Wobei ich immer noch Probleme mit der Bezeichnung "Freund" habe, wenn es um mehr oder weniger willkürliche Klickverbindungen geht. Aber bei Derry musste ich anders herangehen. Das Projekt war von Anfang an auf eine bestimmte Zeit festgelegt. Ich brauchte also möglichst schnell ein gewisses Kontingent von "Freunden", um überhaupt in Facebook interagieren zu können. Und da hab ich munter alles angeklickt, was mir vorgeschlagen wurde. Irgendwann fing es an, eine Eigendynamik zu entwickeln. Mittlerweile pflegt "Derry" mehr als 500 "Freundschaften". Was er davon hält, hat er ja in seinem Tagebuch geschrieben.

R: Was haben Sie noch gemacht, um bekannter zu werden?

E: Kommentare gepostet zu Themen, die mich ansprachen, am liebsten zu Bücherthemen. Seiten geliked. Leute eingeladen, sich mit meiner Thoni-Seite zu verlinken. Den zweiten, der den "Gefällt-mir"-Button gedrückt hat, hab ich gefeiert! Der erste war Derry.

R: Gab es Feedback?

E: Vereinzelt. Anhand der Statistiken auf blogger konnte ich sehen, dass am Anfang die meisten Leute von Facebook kamen. Wobei es schon anmaßend ist, bei Besucherzahlen von 3-20 Leuten pro Tag von "meisten" zu reden. Einige der eingestellten Posts wurden nur wenige Male gelesen, einige gar nicht. Manche sehr oft. Der Hit war übrigens Ihr Gespräch mit dem Chef: "Eine druckbare Story".

R (zuckt die Schultern): Haben Sie die Lesegewohnheiten der Leute im Netz bei der Konzeption Ihrer Geschichte berücksichtigt? Mangelnde Geduld? Oberflächlichkeit beim Online-Lesen?

E: Ich hatte ursprünglich vor, längere Texte einzustellen, bin davon aber abgekommen. Dass die Thoni-Geschichte in zwei nahezu identischen Varianten auf blog.de und bei blogspot-com erscheint, ist daraus erwachsen, dass mein erster Account bei blog.de immer wieder technische Probleme hatte und meine Beiträge teilweise über Stunden nicht abrufbar waren. Das ist tödlich, wenn Sie sie nach außerhalb verlinken. Mir hat die "Zweifach-Version" allerdings gezeigt, dass es nicht egal ist, in welchem "Kleid" eine Geschichte daherkommt. Und dass Werbung den Lesefluss stört. Man diskuktiert ja ein solches "Sponsoring" auc für Bücher. Ich finde das keine gute Idee. Dass sich eine Doppelung darüber hinaus anbot, um hier und da unterschiedliche Versionen oder die Posts zeitversetzt zu veröffentlichen, ergab sich wie von selbst. Übrigens ebenso wie die Idee, dem Chronisten ein paar "Quellen" zur Seite zu stellen.
 
R: Dieser q1 ist ein wirklich übler Geselle! Auch ein Teil Ihres inneren Teams?

E (lacht): Vermutlich. Das Faszinierende an der These von Thuns ist, dass die Akteure des Teams per se weder gut noch böse sind, sondern neutrale Eigenschaften und Einsichten verkörpern, die in uns als "Bauchgefühl", "innere Stimme", "Gewissen und "Vernunft" zur Sprache kommen. Von Thun beschreibt sehr schön, dass es nicht Ziel sein könne, die unangenehmen und kritischen Stimmen mundtot zu machen oder sie sich abzugewöhnen, weil sie zur Regulierung der angepassten und allzu netten "Lieblinge" auf unserer Kommunikationsbühne unbedingt gebraucht würden. Thun sagt, dass die Akzeptanz der kritischen Akteure in zwei Stufen vor sich gehe: 1. Das ist AUCH ein Teil von mir. 2. Das ist NUR EIN Teil von mir.

R: Und wie haben Sie diese Eigenschaften auf Ihre Figuren übertragen?

E: Ich habe zum Beispiel den Möchtegern-Marketing-Experten Ad erfunden. Vieles, was er sagt, ist richtg, auch wenn es mir nicht gefällt oder ich es sogar ablehne. Trotzdem sollte man darüber nachdenken. Und was q1 angeht: Er ist Stratege, er plant genau, was er tut. Er sichert sich ab. Aber er hat auch die Fähigkeit, scharf und logisch zu denken, Dinge zu bewerten, sie zu strukturieren und aufzuarbeiten. Anfangs dachte ich, der CHRONIST reiche aus als "Dokumentator". Aber ich habe schnell gemerkt, dass ich eine stärkere Ausprägung dieser Eigenschaften personalisieren musste: q1 ist der ideale moderne Mitarbeiter, er agiert flexibel, hoch professionell, ohne Empathie, rein ich- und karrierebezogen.

R: Ein äußerst unsympathischer Mensch.

E: Nach Macht zu streben, ist nichts Schlechtes, das wird es nur dann, wenn der Gegenpart fehlt. Wenn also niemand da ist, der q1 seine Grenzen aufzeigt.

R: Genau das hat der Chronist versäumt.

E: Ja. Der Regisseur hat dem Schauspieler gestattet, das Bühnenbild umzuräumen.

R: Er hätte ihn fragen müssen, was die Kürzel bedeuten.

E: Das ist die Schlüsselszene: Als der Chronist behauptete, die Bedeutung der erfundenen Kürzel zu kennen, war q1 klar, dass er ihn in der Hand hatte. Ein einfaches Nein hätte alles verhindern können.

R: Solchen Luxus kann sich eben nicht jeder leisten.

E (lacht): Wenn wir das hier ordentlich über die Bühne gebracht haben, lasse ich Sie gehen. Einverstanden?

R: Nein.
 

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