Montag, 2. Januar 2012

Im Ohrensessel ins neue Jahr.

Montag, 2. Januar 2012.
Der Verleger. Das Tagebuch. (15)


Was sag ich? Kaum bin ich heute Morgen im Büro eingelaufen, überall um mich herum Hektik: Dies und das sei noch zu erledigen, und der Mailkasten verflixt noch mal vom Vorjahr voll, und herrje: Ist ja alles noch viel schlimmer als es im alten Jahr war! Und: Ach, Du Armer, hast ja nicht mal die paar Tage zwischen den Jahren zur Erholung gehabt. Ich sag`s doch: Dummnasen. Mein Stress der vergangenen Tage lässt sich auf eine knappe Viertelstunde am Samstag beziffern: Ich hatte gerade meine „Tagebuch-Mail“ abgeschickt, ja, ja, ich weiß: Irgendwann wird sich irgendwer belustigen, was der olle Blödmann da unter „eigene Dateien“ so alles abgespeichert hat … Also: Ich fahr in Vorfreude auf das erste Bier bei Willi den PC runter – da klingelt es.

Und ich denk mir nix und mache auf … Steht meine Lieblingsnachbarin Frau F. mit einem verpackten, aber unschwer als Sekt zu identifizierenden Präsent vor der Tür, lächelt verlegen, eine Mimik, die mich bei ihr nach wie vor irritiert, und säuselt mir irgendwas von Guten Start ins neue Jahr vor. Ich überlegte krampfhaft, welchen Hintersinn dieser unverhoffte Besuch haben könnte, aber als sie sich überaus beiläufig nach dem Befinden des Thoni-Verlags erkundigte, fiel es mir schlagartig ein! Der vermaledeite braune Umschlag!! Das Sch…ding hatte ich doch glatt auf der Garderobe vergessen! Während sie versuchte, mich in ein Gespräch über den Sinn und Unsinn diverser Jahresabschlussfestivitäten zu verwickeln, dachte ich noch krampfhafter darüber nach, wie ich sie schnellstmöglich aus der Sichtachse Tür – Garderobe bringen könnte. Ich murmelte irgendwas von Lektorat prüft noch und: Da schalte ich mich gar nicht ein, und nach endlosen Minuten schien es endlich anzukommen, dass von mir jetzt und sowieso wegen Unzuständigkeit keine Antwort zu erwarten sei. Was sie irgendwie zu erleichtern schien.
Sie drückte mir die Flasche in die Hand, wünschte mir ein frohes Neues und verschwand. Uff!
Dann hab ich erst mal den Umschlag vom Flur ins Wohnzimmer umdeponiert. Hätte ich gewusst, dass Ad am Abend bei Willi auftauchen würde, hätte ich ihn gleich mitgenommen … Andererseits: So lange, wie Frau F. und ich schon in aufrichtiger Feindschaft verbunden sind, darf ich mir durchaus die Freiheit erlauben, einen Blick auf ihr poetisches Potential zu tun, finde ich. Wenn auch nicht ausgerechnet an Silvester.

Bei Willi war es so rappelvoll, dass Berti und ich sogar unseren Stammtisch mit feierfreudigen Auswärtigen teilen mussten, nachdem Werner trotz Ankündigung doch nicht auftauchte. Dafür kam Ad, quetschte und quatschte sich dazwischen, und später noch der Herr Journalist nomen est omen Ratlos vom NNB; na ja, sonntags erscheint das Käseblatt ja nicht, und ich überlegte, warum ich mich eigentlich auf diesen Abend gefreut hatte … Bertis Miene wurde zunehmend grimmiger, während Ad schneller aufdrehte, als Willi das Bier zum Betäuben beibringen konnte, und ruck zuck hatte der große Zampano das Thoni-Verlags-Gesamtprogramm samt Marketingkonzept für die kommende Dekade erstellt. Und der Rastlos bastelte fleißig mit am neujährlichen multimedialen Vermarktungsprojekt. Ich war wirklich versucht, Ad den ganzen Laden als Silvesterknaller um die Ohren zu hauen, konnte mich dann aber doch nicht dazu durchringen. Und irgendwann mitten in Ads großartigem Redeschwall haben Berti und ich uns einen Blick zugeworfen, und uns hat der Schalk gepackt. Ein Wink zu Willi, und statt aufs Klo sind wir durch die Hintertür raus und – weg! Die paar Meter rüber zur Buchhandlung ging`s auch ohne Jacke. Wie zwei Lausebengel, die gerade einem besonders doofen Lehrer einen supertollen Streich gespielt haben, sind wir in Bertis Laden und haben uns gekringelt vor Lachen.

Hoffentlich hat uns kindische Deppen keiner gesehen! Berti hat seine Uralt-Petroleumlampe in Gang gesetzt, und während ich es mir im Ohrensessel neben dem Tresen gemütlich gemacht hab, hat er im flackernden Licht zwei saugute Whisky ausgeschenkt und nach einem Hocker gesucht. „Am Montag hast du ja doch wieder keine Zeit!“, meinte er grinsend, reichte mir das Glas und eröffnete exakt dreiundvierzig Minuten vor Mitternacht seine persönliche Bestseller-Leseliste für 2012. Herrlich war`s. Und Lesestoff habe ich jetzt bestimmt bis März! Das Feuerwerk haben wir durchs Schaufenster des Buchladens bestaunt, und von Ad und Co. keine Spur mehr gesehen. Das war der herrlichste Silvesterabend seit Jahren!

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