Mittwoch, 4. Januar 2012

Schräger Schmus.

Sonntag, 1. Januar 2012 (später Vormittag).
Rudi Ratlos. In der Redaktion. (3)


Rudi Ratlos sitzt an seinem Schreibtisch, fährt sich fahrig durchs Haar und starrt auf seinen Bildschirm. Das Telefon klingelt.

Rudi: Ja?

Chef: Könnten Sie mir erläutern, was Sie mit Ihrer kryptischen Mail bezwecken?

Rudi: Ja, nun … erst mal: Ein frohes Neues …

Chef (mürrisch): Frohes Neues. Also – wer soll das bitte lesen wollen: Neues vom Verleger?

Rudi: Ich hab wirklich gute Kontakte in die Pressestelle des Verlags und …

Chef: Wollen die eigentlich irgendwann mal ein Buch zu Potte kriegen? Darüber könnte man ja dann wohlwollend …

Rudi: Ein Verlag, der Bücher publiziert, ist doch so spannend wie Hund beißt Mann! Ich biete dagegen …

Chef: Olle Kamellen! Natürlich wollen wir Mann beißt Hund! Aber darf ich Sie erinnern, dass das laut Ihrer Prognose vor Weihnachten noch der aufstrebende Verlag überhaupt war?

Rudi: Also, unsere Idee …

Chef: UNSERE?

Rudi (verschämt): Äh … nun, durch den guten Draht zur Pressestelle bestünde die Möglichkeit, dass der Lektor ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudert … Ich sag`s Ihnen: Es ist unglaublich, was für einen schrägen Schmus die Leute schreiben! Andere bezahlen Gag-Schreiber, wir dürfen es ganz umsonst drucken! Unsere Leser werden sich kringeln vor Lachen, ich sag`s Ihnen, ehrlich!

Chef (aufgebracht): Sie wollen doch nicht etwa hämische Kritiken über eingereichte Manuskripte veröffentlichen?

Rudi (erstaunt): Wo ist das Problem?

Chef: Haben Sie mal überlegt, WER diese Manuskripte dahin schickt? Unsere LESER! Und dann finden sie sich unversehens mit ihren Elaboraten in ihrer Tageszeitung durch den Kakao gezogen?

Rudi: Man muss es eben nur richtig anfangen.

Chef: Da bin ich aber gespannt!

Rudi (doziert): Neues vom Verleger - Wie die Verlagslandschaft funktioniert. Was wirklich hinter Absagebriefen steckt!

Chef (vergrätzt): Das will doch keine Sau lesen!

Rudi (unbeirrt): Doch, Chef. Das lesen die Leute genau dann, wenn sie das Gefühl bekommen, dass alle anderen doof sind und nur Mist schreiben, während sie selbst als unentdecktes Talent im Meer dieser Beliebigkeit unterzugehen drohen.

Chef: Hm.

Rudi: Das gleiche Prinzip, warum die Leute Trash-TV gucken. Sozusagen als Hoffnungsträger für ihr inneres Selbst: Wie tröstlich, dass es Leute gibt, die …

Chef: Unser Blatt ist kein Trash-TV-Surrogat!

Rudi (unbeirrt): Man muss es so schreiben, dass man halt die Hoffnung nährt, dass man die einzige wahre Perle sucht … die Nadel im Heuhaufen sozusagen – die vielleicht sogar schon eingesandt, nur noch nicht gehoben ist? Na ja, so in der Art halt. Ich habe schon den Rohstoff für mindestens ein Dutzend Artikel.

Chef: Die haben also die Perle womöglich schon entdeckt, und wollen nur noch nicht raus damit?

Rudi: Wenn Sie mich fragen: Jupp.

Chef: Ist Ihr Kontakt so gut, dass wir aktuelle Infos darüber als Erstes kriegen?

Rudi: Klar.

Chef: Na gut. Schicken Sie mir den ersten Artikel rüber.

Rudi: Mach ich! Ich setz` mich gleich dran und morgen früh …

Chef: Heute, Ratlos. Ich gebe Ihnen genau zwei Stunden. Und jetzt sag ich Ihnen was: Wenn die Leute geharnischte Briefe schreiben, fliegen Sie!

Rudi (murmelt): Das ist ja nun nix Neues.

Chef: Wie bitte?

Rudi: Ja, Chef. Sie kriegen den Artikel. Pünktlich.

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