Mittwoch, 15. Februar 2012

Manuskriptprüfungsprocedere.

Dienstag, 14. Februar 2012.
Der Verleger. Tagebucheintrag. (17)


Gestern klingelte Frau Friedemüller. Na ja, klingeln klingt harmlos, aber ich bin sicher, dass sie seit dem Nachmittagstee hinter der Gardine lauerte und meine Ankunft erwartete. Und ich war ausnahmsweise recht früh dran und gerade dabei, die Schuhe auszuziehen. Einen schönen guten Tag wünschte sie mir, und man habe sich ja nun doch eine Weile nicht gesehen, ich sei wohl sehr beschäftigt? Dann hielt sie mir ein leeres Schüsselchen hin: Ob ich vielleicht ein bisschen Zucker für sie hätte? Sie sei am Kuchenbacken und habe zu wenig eingekauft.
Ich hätte kontern können: Erstens: Kuchen am frühen Abend – für wen? Zweitens: Zu wenig eingekauft, wo es im Hause Friedemüller einen Vorratskeller gibt, in dem bis unter die Decke Lebensmittel für die Überlebensdauer einer fünfköpfigen Familie von ein bis zwei Jahren lagern? Zweitens weiß ich übrigens von meiner Ex, die das Vergnügen hatte, eine theoretische und praktische Einführung in die Kunst der Lebensmittel-Bevorratung genießen zu dürfen, so von Frau zu Frau. Was nicht dazu beitrug, das nachbarschaftliche Verhältnis zu optimieren. Nun ja, da stand nun die Hüterin der Halden mit der Schüssel vor mir, und dachte wohl, Zucker habe jeder im Haus. Ich war mir sicher: Die wollte nur rein und mich bebabbeln!

Ich setzte eine bedauernde Miene auf. „Es tut mir außerordentlich leid, aber mit Zucker kann ich nicht dienen. Seit meiner Scheidung habe ich ein neues Diätprogramm, und danach ist Industriezucker absolutes Gift für den Organismus.“
Ihre bedauernde Miene übertraf meine um Längen. „Äh, ja. Das ist schade. Ich wollte nämlich … Nun: Ich dachte, ich frag wegen Zucker und bringe Ihnen dafür nachher ein Viertelchen frischen Käsekuchen vorbei. Aber damit wird`s ja dann wohl nichts.“
KÄSEKUCHEN? Wenn die Nervensäge überhaupt irgendwas Gutes kann, dann Käsekuchen backen! Am Anfang unserer nachbarschaftlichen Beziehung hat sie mal ein paar Stückchen vorbeigebracht, und ich gebe zu: Niemals davor und danach habe ich etwas derartig Köstliches gegessen. Leider verdarben die verbalen Begleitumstände den Genuss dann doch etwas.
Während mir das Wasser im Mund zusammenlief, schüttelte ich tapfer den Kopf. Nein, der Zucker sei leider wirklich aus. Und dann trat ein, was ich befürchtete: „Wo ich schon da bin: Könnten Sie mir vielleicht sagen, wann Ihr Lektorat die Prüfung meines Manuskriptes abgeschlossen haben wird?“

Grmpf! Ich gebe es zu: Ich hatte das Teil zwar von der Garderobe ins Wohnzimmer geräumt, aber auf der nämlichen Ablagefläche türmen sich nun ein Stapel Tageszeitungen und Bertis Bücher. Nicht mal aus dem Umschlag genommen hatte ich das Zeug. Ich murmelte ein: „Ich werde gleich morgen mal nachfragen“ in meinen nicht vorhandenen Bart. Bevor sie etwas erwidern konnte, fügte ich hinzu: „Wissen Sie, unser Manuskriptprüfungsprocedere sieht die Doppelsichtung einer jeden Einsendung vor, damit sichergestellt ist, dass eine Ablehnung nicht aufgrund der subjektiven Laune eines einzigen Prüfers erfolgt.“
Was soll ich sagen? Der Zucker war vergessen, der Käsekuchen wohl auch. Frau Friedemüller konnte tatsächlich schweben. Mit einem Seufzen schloss ich die Tür und zog endlich Handschuhe und Mantel aus.

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