Sonntag, 30. September 2012

Die Erfinderin. Das Interview. TEIL 6

Wie man sich gut schlägt und einen Verlag gründet.


R: Sie haben anfangs erwähnt, dass sie auch als reale Person im Netz aktiv sind. Warum haben Sie das Projekt Thoni-Verlag nicht einfach als tägliche Fortsetzung in Ihren Blog gestellt?

E: Es war mir wichtig, diese Geschichte nicht nur aus verschiedenen Blickwinkeln zu erzählen, sondern sie auch neutral beim Leser ankommen zu lassen. Das hätte nicht hingehauen, wenn ich sie unter meinem Autorennamen erzählt hätte. Noch dazu als eine Autorin, die gerade dabei ist sich neu zu definieren. Die Intention, diese Geschichte überhaupt zu erzählen, besteht allerdings unabhängig von einer Namensnennung: Ich glaube, dass sich zwar nicht alles, aber vieles in der Bücherwelt ändern wird. Ob ich das im Einzelnen gut oder schlecht finde, mag dahingestellt bleiben. Aber es reizte mich, all diese Eindrücke, Ängste, Gedanken und neuen Ideen nicht nur zu berichten, sondern sie erzählend aufzuarbeiten. Verleger, Lektor, Autor, Buchhändler, Leser: ich wollte sie lebendig werden lassen, indem ich ihnen Gesichter und Namen gab. Und was lag näher, als das in dem Medium zu tun, das diese Ängste und Sorgen und neuen Ideen hervorruft? Schon heute haben viele Menschen ein Problem damit, einen längeren Text zu lesen. Insbesondere Jüngere bevorzugen das Lesen am PC, oder per eBook. Und nebenbei sehen sie fern, telefonieren und lesen garantiert nicht die Tageszeitung. Wenn ich aber die neuen Medien – und die damit einhergehenden Kommunikationsgewohnheiten – erzählerisch umsetzen will, hilft es wenig, nur den Inhalt anzupassen. Ich muss mir auch über die Struktur Gedanken machen. 

R: Inwiefern?

E: Ein Roman, auf Papier in einem Buch gedruckt, ist eine Einheit, deren Anfang und Ende bei allen Vorgaben immer noch der Autor bestimmt. Und das Kleid zieht der Verlag dem Kind an: Cover, Titel, Schrift, Layout. Die Geschichte kommt in die Läden wie diejenigen, die am Herstellungsprozess beteiligt waren, es festgelegt haben. Der Leser kauft diese Geschichte, und sie gefällt ihm – oder auch nicht. Wenn man es brutal formulieren wollte: Eigentlich könnte es den Autoren, Verlagen und Buchhändlern schnurz sein, ob der Inhalt dem Leser gefällt: Wenn Bücherwürmin Lisa Liesmich den neuen Roman von Annabelle Chanson gekauft hat, sind alle bedient. Auch wenn Lisa ihn nach dem zweiten Kapitel in den Müll wirft, weil sie vor Langeweile Migräne bekommt. Natürlich wird sie sich überlegen, ob sie sich das nächste Werk noch antut. Vielleicht erwirbt sie es nur als Taschenbuch oder gleich als eBook. Aber auch in diesen Fällen ist der Inhalt vorgegeben, sie kauft ihn oder lässt es bleiben. Im Netz ist alles im Fluss. Es wird in Häppchen gelesen, kommentiert, geliked und verlinkt. Das muss man beim Erzählen berücksichtigen, ohne das Eigentliche aus den Augen zu verlieren.

R: Das da wäre?

E: Ich habe die altmodische Auffassung, dass es die vornehmste Aufgabe eines Schriftstellers ist, dem Leser eine gute Geschichte zu liefern. Und eine gute Geschichte muss komponiert werden. Auch im Netz. Selbst wenn sie vordergründig aus dem Augenblick heraus erzählt wird wie die vom Thoni-Verlag, muss sie doch innerhalb eines Rahmens angesiedelt sein, in dem zwar spontanes Handeln und unvorhergesehene Wendungen zugelassen und erwünscht sind, aber nichts, das den Leser aus der Bahn wirft: Die Figuren müssen in ihrem Handeln überzeugend und plausibel sein, die Geschichte muss einen „Aha-Effekt“ haben, der den Lesern am Ende das Gefühl gibt: eine spannende, eine intensive, auf jeden Fall aber eine lohnenswerte Geschichte gelesen zu haben.

R: Wie sind Sie konkret vorgegangen? 

E: Ich habe die Texte für die tägliche Veröffentlichung vorgeschrieben und vor der Veröffentlichung mehrfach korrigiert. Und recht bald gemerkt, dass ich neben dem Chronisten noch andere Helfer brauchte, um den Überblick nicht zu verlieren. Allein die Disziplin, bestimmte Beiträge unter wiederkehrenden Labels oder Tags anzulegen, erforderte einigen organisatorischen Aufwand. Ebenso die einheitliche Gestaltung der Überschriften, damit sich der Leser besser zurechtfindet. Bis sich das alles eingeschliffen hatte, dauerte es eine Weile.
Trotzdem unterliefen mir Fehler, weil ich mir nicht alle Informationen merken konnte, die ich bereits verarbeitet hatte. Hinzu kam, dass die Veröffentlichungen ja meinem tatsächlich schon vorgeschriebenen Text und somit dem Fortgang der Geschichte hinterherhinkten … ich hatte also im Kopf viel mehr Infos als die Leser bei Facebook oder im Blog. Ein Beispiel: In einem Tagebucheintrag lasse ich den Verleger Berti charakterisieren und schreibe, dass selbst Willi, der Wirt, ihn mit Herr Buchmann anspricht. Aber in meinen ersten Kneipengesprächen mit dem Verleger und Ad lasse ich Willi den Satz sagen: Und wo hast du Berti gelassen? Ich habe das dann geändert in: Wo hast du denn deinen Herrn Buchmann gelassen? Das passt zwar von der Sprachmelodie nicht wirklich zu Willi, den ich eher derb in Szene gesetzt habe, aber immerhin ist es besser als die Erstversion.

R: Was hat Sie am Erzählen im Netz besonders gereizt?

E: Dass ich das Social Web nicht nur für die Verlinkung meiner Blogs, sondern als Teil der Geschichte nutzen konnte. So wurden beispielsweise Postings der „Thoni-Fans“ und „Derry-Freunde“ sowie „Gefällt mirs“, die Derry in meinem Auftrag drückte, Teil der Geschichte. Ein anderes Beispiel ist die Möglichkeit, aktuelle Artikel und Kommentare einzubinden: Berti und der Verleger sprechen über Bücher und die Probleme im modernen Buchhandel, und ich verlinke dazu einen Bericht aus dem Börsenblatt. Da stirbt ein hoch angesehener Verleger (Herr Keel von Diogenes), der genau diesen alten Verlegertypus verkörpert, den es heute immer weniger gibt, und im dazugehörigen Artikel steht ein Satz, den ich mir für meine Geschichte nicht besser hätte ausdenken können: Er tat das, was er tat, mit Freude. Das machte seinen Erfolg aus. In einem Buch kann man solche „Lebenssätze“ als Intro vor die Kapitel stellen und im Anhang ein Quellenverzeichnis anführen, bei Facebook wird der Artikel samt Quelle auf der Seite geteilt und somit unmittelbar in die Geschichte integriert. Dieses Verlinken, Posten, Gefallen und Seiten-Hopping wird ruck zuck so unübersichtlich, dass es selbst einem gutwilligen Protokollanten nicht mehr möglich ist, alles getreu zu dokumentieren. Wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass auch nicht alles dokumentationswürdig ist. Nur: Wer entscheidet darüber? Und welche Kompetenz muss jemand haben, der entscheidet? Und wo muss man ihm Grenzen setzen?
Indem ich Derry auf der Seite des Börsenblatts oder bei Spiegel-online kommentieren ließ, verwischten sich die Grenze zwischen Fiktion und Realität. Wenn dann, was mehrfach vorkam, kurz darauf eine Mail an Derry eintrifft, dass man seine Kommentare gern auch in der Printausgabe veröffentlichen würde, ist die Grenze überschritten: Die Fiktion ist zur Realität geworden. Aber damit ist sie weder wahr noch wahrhaftig.

R: Auf diese Gefahr wollten Sie mit Ihrer Geschichte aufmerksam machen?  

E: Im Gegensatz zu q1 hat q7 bei aller Unprofessionalität diese Grenze respektiert und persönliche Daten anonymisiert. Es geht in der Tat niemanden außerhalb von Facebook etwas an, was Herr X oder Frau Y posten, und sei der Inhalt noch so banal. Der etwas einfältig scheinende q7 hatte im Übrigen als einziger Protagonist die Möglichkeit, den Fall Thoni vorzeitig zu beenden - und mich zu outen, indem er das einzig Richtige tat: Netzinformationen mit dem realen Leben abzugleichen, vom virtuellen in den realen Raum zurückzukehren, Dinge und Daten kritisch zu hinterfragen. Da hatte jemand Bilder gesehen … in einem Buch, nicht im Netz. Ich bin mir sicher: q7 hätte noch mehr herausgefunden, hätte der Chronist ihn nicht leichtfertig abgeschossen. Natürlich steckt da eine Message drin!

R: Können Sie das etwas näher erklären? 

E: Wer im Netz unterwegs ist, charakterisiert sich durch Fotos, aber auch durch seine Posts. Wer schreibt: Wow! Echt geiles Bild, oder: Ups, das ist ja super witzig!, dem traut man im realen Leben nun mal keinen Managementposten in den oberen Etagen zu. Den sieht man in zerrupften Jeans und schweißigem Hemd rauchend vorm PC sitzen, auch wenn das vielleicht gar nicht stimmt. Die Mechanismen, die früher halfen, Dinge und Menschen zu klassifizieren, lösen sich im Netz auf. Und das macht es zunehmend schwer, sich Urteile zu bilden, die über Vorurteile hinausgehen. Und das, obwohl die Zahl der Informationen ständig steigt. Ein Widerspruch? Nur auf den ersten Blick. Es ist eine notwendige Folge des Mediums, das großteils davon lebt, dass unablässig gebrabbelt und gepostet wird. Und doch ist soziales Netzwerken mehr als geistloses Geplauder. Es schafft einen Informationspool, und es lässt – und damit komme ich auf meine Rolle als Schriftstellerin zurück – Raum für die kreative Gestaltung (m)einer Geschichte: Warum nicht Derry mal einen Dialog mit sich selbst führen lassen? Den Leser glauben machen, dass sich da einer (mindestens einer!) ungefragt im Account breitmacht? Was ja durchaus schon vorgekommen ist. Letztlich geht es um die uralte Frage: Was ist Schein, was ist Sein? Was ist die Wirklichkeit und was die Wahrheit?

R: Eine Geschichte auf diese Weise zu erzählen, vor allem, die vielen Fäden im Auge zu behalten: War das nicht ziemlich zeitraubend für ein Non-Profit-Projekt?


E: Ich hatte von Anfang an vorgesehen, es einige Zeit zu führen, zu schauen, wohin es führt und es dann zu beschließen. Ich fand, dass der 1. April ein guter Tag wäre, zum Ende zu kommen. Mit Ach und Krach und einigen Nachtschichten habe ich es tatsächlich hinbekommen.

R: Warum war Ihnen das so wichtig?

E: Ich wollte statt „The End“ unbedingt April, April! rufen. Außerdem hatte ich danach keine Zeit mehr.

R: Ein neues Buch?

E: Auch das, ja. Ich habe jüngst den Thoni-Verlag gegründet.

R: Ich nehme Sie ernst. Sie sollten mich auch ernst nehmen.

E: Das ist ein verdammt ernstes Geschäft, ja. Also: Ich habe einen Verlag gegründet, weil ich meine Bücher verlegen will.

R: Häh?

E: Ich bin zum Gewerbeamt, hab ein Formular ausgefüllt und 25 Euronen auf den den Tisch geblättert. Das war`s.

R. Vielen Dank für das Gespräch. 

E: Ich bedanke mich bei Ihnen (gibt ihm die Hand. Grinst). Kompliment! Hast dich wirklich gut geschlagen, Rudi!

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