Samstag, 29. September 2012

Die Erfinderin. Das Interview. TEIL 5

Vom Leiden des Autors.


R: Zurück zu Herrn Hundekötter. Ein Mensch mit einem solchen Namen provoziert ja geradezu Abneigung. Und er agiert ja in der Tat unmöglich. 

E: Trotzdem trifft sich der Verleger mit ihm auf der Messe. Weil er merkt, dass hier jemand viel mehr als nur eine Geschichte geschrieben hat. Da hat ein Mensch sein ganzes Leben einem Wildfremden anvertraut, und eine Ablehnung beinhaltet nicht nur die Aussage, dass Hundekötter als Autor keine Chance hat. Ich lehne deine Geschichte ab, bedeutet in seinem Fall: Ich lehne dein Leben ab. Du bist nichts wert. Ein Problem, das viele Erstautoren haben, weil sie zu autobiografischen Themen neigen.

R: Aber es bleibt ja die Tatsache: Schriftsteller wird der liebe Herr Hundekötter in diesem Leben wohl nicht mehr werden.

E: Genau das ist das Problem: Der Verleger kann es nicht wirklich beurteilen. Er kann nur sagen: Dieses Manuskript geht gar nicht. Und die Arbeit, die vonnöten wäre, bis es ginge, ist ziemlich groß. Will heißen: Um Schriftsteller zu werden, müsste Herr Hundekötter noch viel lernen. Ob er dazu die nötige Einsicht und Ausdauer hat? Das Gespräch auf der Messe lässt eher das Gegenteil vermuten.

R: Das war aber nicht Ihre Hauptmotivation, diese Figur einzuführen, oder? 

E: Sondern?

R: Nach Ihren Ausführungen zum „inneren Team“ ist Hundekötter der Gegenpart zu Annabelle Chanson.

E: Ja. Im Vergleich zwischen der Profischreiberin Chanson und dem Dilettanten Hundekötter wird deutlich, was geschieht, wenn ein Akteur keinen angemessenen Gegenpart hat. Dann gewinnt entweder Chanson oder Hundekötter die Oberhand: hier die profitorientierte Autorin, die ohne jeden Skrupel alles schreibt, was der Markt will, oder dort der verschrobene Möchtegern-Autor, der glaubt, dass seine Gedanken, nur weil es seine Gedanken sind, die Welt zu interessieren haben. Beide schreiben nicht wirklich für die Leser; beide sind aber beleidigt, wenn die Leser sie abstrafen, indem sie sie nicht oder nicht mehr lesen. 

R: Wird Annabelle nicht vielmehr gezwungen, Geschichten zu schreiben, die sie gar nicht schreiben will, weil der Leser das so will? Diese Lisa Liesmich ist ja wirklich eine seltsame Person. 

E: Lisa will gute Bücher lesen, macht aber keine Anstalten, wirklich nach ihnen zu suchen. Was, zu ihren Gunsten muss es gesagt werden, auch zunehmend schwerer wird in der Welt der Büchertsunamis. Womit wir bei Bertis geschlossenem Laden wären: Es gibt immer weniger Fachkundige, die die Masse an Neuerscheinungen noch kanalisieren und für den Leser vorsortieren könnten. So schwappen sie ungefiltert durch alle Kanäle, und der Leser ist hoffnungslos überfordert. 

R: Welche Lösung schlagen Sie vor?

E: Ich habe meine Geschichte nicht geschrieben, um Lösungen vorzuschlagen. Hätte ich welche, die funktionieren würden, hätte ich wohl ausgesorgt. Ich glaube auch, dass es keine absoluten Lösungen gibt. Wenn selbst Berti sich breitschlagen lässt, gängigen Mainstream zu stapeln, kann Lisa genausogut bei amazon bestellen. Und wenn Berti nur hohe Literatur ausliegen hat, kommt Lisa erst gar nicht in seinen Laden. Andererseits: Wenn sie auch den vierunddreißigsten Band der Kitty-Reihe noch kauft, weil sie hofft, irgendwann müsste der Inhalt doch mal besser werden, kann man den Verlagen ja nicht ernsthaft vorwerfen, dass sie das bis zum vierundachtzigsten Band ausnutzen. Dass der Markt in Teilen genau so funktioniert, kann man wunderbar an den gar nicht seltenen Leserrezensionen sehen, die nach dem Motto verfasst sind: Ich hab mich halt verleiten lassen, das Buch (auch noch) zu kaufen, obwohl mir das letzte und vorletzte schon nicht gefallen hat. Und jetzt gefällt mir dieses auch nicht! 


R: Da kann man leichte Zweifel an der Kompetenz der Leser bekommen …

E: Allerdings. Wenn ein Autor in einem gewissen Genre oder sogar eine Reihe schreibt, wird er von einem zum anderen Buch seinen Schreibstil nicht ändern! Und dass gewisse Geschichten eben durchaus, na sagen wir mal: recht simpel erzählt werden, und dass es Leute gibt, die das gern lesen, ist doch in Ordnung. Das ist gar nicht das Problem. In diesen Fällen bestimmt die Nachfrage das Angebot. Aber wenn ich in Rezensionen oder sogar schon auf dem Umschlagtext lese, dass in einem Buch drastische Sexszenen vorkommen und die Sprache wenig literarisch ist und ich mag keine drastischen Sexszenen und liebe es, mich durch kluge Formulierungen unterhalten zu lassen, dann kaufe ich doch dieses Buch nicht! Es dennoch zu tun, nur weil es auf der Bestsellerliste steht und hinterher zu schreiben: Ich hab`s doch gleich gewusst! Das ist Lisa pur, die in der Ecke sitzt und schmollt, weil niemand die schönen Bücher produziert, die sie ja ach so gerne lesen würde. Wie auch, wenn sie ständig welche kauft, die ihr ohnehin nicht gefallen!

R: Das ist jetzt sehr böse.

E: Es ist ein Stück Selbstkritik. Es wäre gelogen, wenn ich behauptete, dass ich mich noch nie vom Mainstream hätte verleiten lassen. Aber es gibt ja leider auch den umgekehrten Fall: dass eine geschätzte Autorin oder ein Autor plötzlich nicht mehr lesbar ist.

R: Nennen Sie ein Beispiel.

E: Durch Empfehlung eines Buchhändlers bin ich vor vielen Jahren auf die – damals noch recht unbekannte – Minette Walters aufmerksam geworden. Im Eishaus war der erste Roman, den ich von ihr las. Ich war begeistert! Eine spannende Geschichte, interessante Figuren mit Ecken und Kanten. Mir gefiel der Erzählstil, das Einbinden von „externen Elementen“ in die Geschichte, eine Nachrichtennotiz, ein Bild. Das hatte was! Den zweiten Roman Die Bildhauerin fand ich sogar noch besser. Ich freute mich, dass die Autorin zwar regelmäßig neue Krimis veröffentlichte, die aber nicht, wie so oft üblich, in eine Serie mit den immer gleichen Ermittlern mündeten, sondern Solitäre blieben. Die Schandmaske, das dritte, las ich noch gern, aber danach war ich von Buch zu Buch immer mehr enttäuscht. Was mich anfangs fasziniert hatte, das Einbinden von fiktiven Briefen oder Aktenteilen, mutierte zu einer Besessenheit, die den Erzählfluss störte, die Figuren wurden weniger vielschichtig – es war schon früh klar, wer welche Rolle spielte und wer hier political correct war und wer nicht. Ich hatte das Gefühl, die Autorin habe sich in ihrem Kokon versponnen und schreibe nur noch für sich selbst. Dass es nicht nur mir so ging, sah ich an anderen Kritiken, aber auch an der Bestsellerliste. Ihre Romane werden heute nicht mehr von so vielen gelesen. Nun könnte man sagen: Na ja, sie hat eben aufgehört, den Mainstream zu bedienen. Sie macht ihr eigenes Ding, schert sich nicht um Erfordernisse einfach strukturierter Leser. Als Autorin könnte ich das unterschreiben, als Leserin muss ich konstatieren, dass die Sache viel profaner ist: Sie schreibt einfach keine spannenden Geschichten mehr. Lisa hätte sicher eine passende Kritik parat gehabt …

R: Haben Sie selbst als Autorin auch schon mit Lisas zu tun gehabt?

E (lacht): Allerdings! Und es hat eine Weile gedauert, bis ich eingesehen habe, dass Leser, die sich ärgern, das Recht haben müssen, diesem Ärger Luft zu machen. Immerhin haben sie dem Autor Geld und Zeit geopfert. Was ich nicht akzeptiere, sind persönliche Beleidigungen. Aber davon bin ich, bis auf ganz wenige Ausnahmen, bislang verschont geblieben. 

R: Was meinen Sie konkret?

E: Wenn jemand beispielsweise in einem rotzigen Satz zwei Jahre Schreibarbeit hinrichtet, indem er sinngemäß schreibt: Diese Autorin oder dieser Autor sollte mal besser bei Aldi an der Kasse sitzen, statt Papier zu beschmutzen, für das Bäume sterben müssen. Solche „Rezensenten“ sollten sich fragen, ob sie das einem Autor auch im realen Leben an den Kopf werfen würden. In einer Lesung oder auf der Buchmesse beispielsweise. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist durchaus legitim, ein Buch zu verreißen, aber nicht den Menschen, der es geschrieben hat. Im Grunde sind wir Autoren sensible Wesen, und irgendwo sitzt immer auch ein bisschen unserer Seele zwischen den Buchdeckeln. Auch wenn`s nur nullachtfünfzehn Mainstream ist.

R: Welche Kritiken lesen Sie am liebsten?

E: Bei meinen Büchern: natürlich die mit fünf Sternen (lacht). Nein, im Ernst: Ich mag es, wenn ich einer Rezension anmerke, dass sich der Leser oder die Leserin mit der Geschichte auseinandergesetzt hat. Oder wenn es mir gelungen ist, sie zu fesseln. Wenn sie das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnten. Wenn sie mit den Figuren mitgelitten, mitgefiebert, mitgeweint und mitgelacht haben. Woran man als Autor immer ein bissel knabbert, sind Negativkritiken, die in der Sache subjektiv angemessen, aber für für einen selbst (genauso subjektiv) despektierlich sind. Also: Wenn jemand etwas anderes erwartet hatte, wenn jemand meine Art zu erzählen nicht gefiel, oder gewisse Wendungen nicht, oder die Figuren.

R: Lesen ist subjektiv …

E: Genau das macht ja das Faszinierende dieses Mediums aus: Jeder liest das gleiche, aber nicht jeder dasselbe, weil jeder Leser die Geschichte mit seinem Leben, seinen Erfahrungen und Wertvorstellungen verbindet. Letztlich tut auch ein Autor nichts anderes, wenn er schreibt. Mag das Thema noch so skurril sein: Am Anfang steht die Neugier und das Interesse, sich mit genau diesem Thema, dieser Geschichte, diesen Figuren und ihrer Weltsicht auseinanderzusetzen. Das macht den kreativen Prozess aus, das, was Autoren sagen, wenn sie gefragt werden, warum sie schreiben müssen. Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind. Wir sehen sie, wie wir sind. Diese uralte Weisheit aus dem Talmud sagt viel über das Leben und das Schreiben. Prallen dann zwei sehr unterschiedliche Arten, die Dinge zu sehen aufeinander, verfasst Lisa genervt eine 1-Sterne-Kritik.
Andererseits können Negativkritiken, wenn sie gut begründet sind, eine bessere Hilfestellung für andere Leser sein als eine überschäumende 5-Punkte-Wertung, die zwar das Autorenherz erfreuen mag, aber inhaltlich mit: Super, unbedingt lesen!, nur die Weltsicht desjenigen spiegelt, dem das Buch gefallen hat. Es wird nicht das Buch gewürdigt und versucht darzulegen, warum es einem anderen Leser auch (nicht) gefallen könnte (was ja der Sinn einer Rezension ist), sondern es wird lediglich die eigene Lesebefindlichkeit kundgetan, ohne die Basis dieser Befindlichkeit zu benennen.

R: Das verstehe ich nicht. 

E: Wenn ich als Leserin ein Buch suche, schaue ich mir inzwischen zuerst die negativen Kritiken an. Natürlich nur diejenigen, die über drei Zeilen Lisa-Ätze hinausgehen, in denen der Verfasser zu beschreiben versucht, was ihm an diesem Buch missfallen hat. Nicht selten sind das genau die Punkte, die ICH suche, und so können Bücher und Leser auch über 1-Sterne-Rezensionen zusammenfinden. Aber ich betone ausdrücklich: Das ist meine Sichtweise als Leserin. Als Autorin freue ich mich wie Bolle selbst über die banalste Lobhudelei. So sind wir eben, wir Schreiberlinge.

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